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Kardinal Pell missbraucht seine Kirche

By Thomas Seiterich
Publik-Forum
March 05, 2016

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Der Kardinal, ein Meister der Ausflüchte: George Pell sagt von Rom aus per Video über sexuelle Gewalttaten katholischer Priester vor einer australischen Untersuchungskommission aus. Er findet: "Die Kirche hat enorme Fehler gemacht." Will heißen: "Ich nicht."
Photo by Gregorio Borgia

Als Rambo hat George Pell gewirkt, seit ihn Papst Johannes Paul II. zum Erzbischof in der aufgeschlossenen australischen Metropole Melbourne und später in der liberal progressiven Millionenstadt Sydney machte. Auch als Kurienkardinal in Rom tritt der konservative Pell heute gern mächtig auf. Doch nun wendet sich das Blatt. Denn Pell hat offenbar sexuelle Gewalttaten von Priestern in Australien vertuscht

Die bösesten Seiten dieser Geschichte von sexueller Gewalt durch katholische Priester spielen in der australischen Provinz. Dort, wo es heiß, trocken und zumeist langweilig ist, im Städtchen Ballarat im Norden des Bundesstaates Victoria im Südosten des fünften Kontinents. George Pell wird dort geboren, im Weltkriegsjahr 1941. Später ist er – ein Hüne von Mann, ein erfolgreicher Football-Spieler und Priester – Weihbischof in der kleinen Diözese Ballarat.

Pell zählte in Ballarat zum Beraterkreis des Bischofs Ronald Mulkearns, der Kinder missbrauchende Priester nicht bestrafte, sondern stattdessen in eine andere seiner rund 50 Pfarreien versetzte. Bischof Mulkearns hat deren Untaten vertuscht. Und er hat vor seinem Rücktritt im Jahr 1997 die Beweise für die Verbrechen während seiner 25 Amtsjahre zerstört.

Dieses Verhalten des Bischofs sei »natürlich nicht akzeptabel«, sagt ein nun klein gewordener Kardinal Pell im römischen Hotel Quirinal, wo er Nacht für Nacht mittels einer Video-Direktschaltung als Zeuge vor der Royal Commission in Australien befragt wird. Seit 2013 untersucht die Royal Commission die Reaktion unter anderem der katholischen Oberkirche auf zahlreiche Missbrauchsfälle in den 1960er und 1970er Jahren in Australien.

»Das war eine Katastrophe für Opfer und Kirche«

Siebzig Zuhörer sind mit Pell in dem Hotelsaal in Rom. Unter ihnen ein dutzend australische Missbrauchsopfer. Sie sind eigens nach Rom geflogen, um George Pell zu hören. Manche der Betroffenen werfen dem Kurienkardinal vor, ihre Fälle vertuscht zu haben. Die Anwesenden wollen dem Kardinal, der vor seiner Zeit als Erzbischof von Melbourne (1996 – 2001) und Sydney (2001 – 2014) zum Beraterkreis des berüchtigten Bischofs Mulkearns in Ballarat gehörte, ins Gesicht schauen. Doch Pell weicht ihren Blicken aus. Er blickt in die Kamera. In den siebziger- und achtziger Jahren habe die Kirche, und hier schließt er sich selbst mit ein, den angeschuldigten Priestern geglaubt: »Wenn ein Geistlicher solche Aktivitäten leugnete, neigte ich sehr dazu, das Dementi zu akzeptieren.« Gegenüber den Betroffenen habe es dagegen die Neigung gegeben, ihnen zu misstrauen.

Der Kardinal kritisiert nun Bischof Mulkearns dafür, wie er den immer übergriffiger werdenden Priester Gerald Ridsdale wieder und wieder in neue Gemeinden versetzte, stets in der vergeblichen Hoffnung, es würden dort keine neuen Vorwürfe laut. »Das«, so sagt Pell nun in Rom, »war eine Katastrophe für Opfer und Kirche«. Hätte man entschlossener und rascher gehandelt, »wäre unglaublich viel Leid vermieden worden«. Pell beteuert, er habe seinerzeit von den Vorwürfen gegen Ridsdale nichts gewusst.

In Sydney, heißt es hierzu, dies sei kaum glaubhaft. Denn die Anschuldigungen gegen Ridsdale seien bereist Mitte der 1970er Jahre bekannt gewesen. Unter den Zuhörenden im Hotel Quirinal in Rom sitzt auch ein Neffe von Ridsdale, der als Kind von seinem geistlichen Onkel missbraucht wurde.

Australiens Presse berichtet im Detail über die römische Anhörung. Das ist kein Wunder: Hatte Pell doch seit den 1990er als konservativer Frontkämpfer des innerkirchlich autoritären polnischen Papstes viele der aufgeschlossenen australischen Bischöfe attackiert und sie im Vatikan angeschwärzt. Außerdem hatte der »Bulldozer« Pell zahlreiche progressive kirchliche Initiativen in den großen Erzdiözesen Melbourne und Sydney regelrecht plattgemacht.

In Rom nun zögert der bis vor wenigen Monaten massiv auftretende Pell mit seinen Antworten. Er gibt zum Beispiel zu, dass er gewusst habe, dass der Ordenspriester Leo Fitzgerald mit seinen Schülern nackt zu schwimmen pflegte (im Internat des Benediktinerklosters Ettal in Bayern gab es das auch) und sie bisweilen auch küsste. Doch man habe seinerzeit solch ein Verhalten bloß für »exzentrisch« und »harmlos« gehalten. Natürlich habe er Gerüchte hört – und nichts unternommen. »Die Kirche hat enorme Fehler gemacht«, sagt Pell in die Kamera. Was so viel heißt wie: »Ich nicht. Ich konnte das ja alles nicht glauben.« Australiens führende linksliberale Zeitung The Age berichtet, unter den Zuhörenden sei zuweilen ein bitteres Lachen zu vernehmen, wenn der Kardinal sich drehe und wende und wieder einmal erkläre, er könne sich leider nicht erinnern. Und überhaupt sei das alles ja ganz unglaublich.

The Age zitiert ein Opfer: »Ich war vier Jahre alt, als ich missbraucht wurde. Jetzt bin ich 44 Jahre und erinnere mich an jedes Detail. Doch sie waren erwachsene Männer und können sich nicht erinnern?« Die Melbourner Boulevard-Blatt Herald Sun zeigt Kardinal Pell auf der Titelseite, daneben die Worte »Nichts Böses gesehen. Nichts Böses gehört. Nichts Böses gestoppt.«

Australiens damalige Labour-Premierministerin Julia Gillard hat 2013 die Missbrauchskommission ins Leben gerufen, mit dem Ziel, den sexuellen Missbrauch in Religionsgemeinschaften und weltlichen Institutionen zu untersuchen. Der Abschlussbericht wird für 2017 erwartet. Die Arbeit ist zäh. Auch George Pell hat verzögert und sich etlichen Vorladungen widersetzt. Sein Herzleiden gab ihm die Chance, dem australischen Direktverhör fernzubleiben – und über Video von Rom aus zu sprechen.

Sein Aussagen, die er in diesen Tagen bereits gemacht hat (weitere werden folgen), gipfeln gemeinhin in Beschuldigungen von ehemaligen Vorgesetzten und Mitarbeitern. Kirchliche Schulämter und alle möglichen Menschen hätten ihn einfach nicht informiert – und zwar absichtlich. Was aber hätte deren Absicht sein können? Darauf hat Pell eine aus seiner Sicht total einleuchtende Antwort: »Sie wussten, dass ich dann gehandelt hätte.«

Katastrophale Fehlentscheidungen von Papst Wojtyla

Rabiate Erzkonservative wie Pell setzte Papst Johannes Paul II. gerne in Machtpositionen, um Teilkirchen, die er für progressiv verseucht hielt, wieder auf die – wie er meinte – »rechte Linie« zu bringen. In Australien benutzte Wojtyla dafür George Pell. In den Vereinigten Staaten benutzte er den Kardinal von Boston, Bernhard Law. Der ist ein noch viel größerer Kindesmissbrauchs-Vertuscher wie der Australier.

In Südamerika stütze sich Johannes Paul II. ab dem Beginn seiner Amtszeit 1978 auf den Mexikaner Marcial Maciel, den Gründer der rechten Priestertruppe »Legionäre Christi«. Noch als dieser Maciel bereits als Sexualverbrecher überführt war, hielt der betagte Polenpapst unbeirrt an ihm fest, indem er stur verhinderte, dass der damalige Kardinal und Glaubenspräfekt Joseph Ratzinger den Verbrecher Maciel absetzte.

Gewitterstimmung für Pell im Vatikan

Im Vatikan droht Kardinal Pell nun auch aus einem anderen Grund Ungemach. Papst Franziskus – der Konservative wie Pell oder den deutschen Glaubenspräfekten, Kardinal Gerhard-Ludwig Müller, gerne einbindet – hat dem Australier den Auftrag erteilt, endlich Licht ins Dunkel der vatikanischen Liegenschaften und Finanzen zu bringen: Pell leitet derzeit das eigens von Franziskus eingerichtete Wirtschaftssekretariat des Vatikans. Doch neuerdings muss sich Kardinal Pell des Vorwurfs, ein Verschwender zu sein, erwehren. Unter anderem soll er Mitarbeitern aus dem fernen Australien sehr hohe Gehälter gezahlt haben.

Pell ist bei vielen in der römischen Kurie nicht wohlgelitten, weil er in einem Brief an Franziskus die Organisation der Weltbischofssynode über die Familie im Oktober letzten Jahres kritisierte. Die F.A.Z. berichtet, Pell habe offenbar nicht nur seinen, sondern auch die Namen von zwölf weiteren Kardinälen daruntergesetzt, von denen viele hernach von nichts gewusst haben wollten. Seither wird der ehemalige Football-Spieler verdächtigt, er habe eine »Kurien-Partei gegen Franziskus« geplant.

Georg Pell wird am 8. Juni 75 Jahre alt. Es heißt, er habe dem Papst seinen Rücktritt von seinem Finanz-Amt altersgemäß angeboten. Und es heißt in Rom, Franziskus habe diesen Rücktritt ohne zu Zögern bereits im Vorhinein angenommen.




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