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Warum Georg Ratzinger Domkapellmeister Wurde

By Robert Werner
Regensburg Digital
March 28, 2016

http://www.regensburg-digital.de/warum-georg-ratzinger-domkapellmeister-wurde/28032016/

Fur Georg Ratzinger war es Vorsehung, dass er Nachfolger von Theobald Schrems wurde. Tatsachlich war aber Georg Zimmermann als Domkapellmeister vorgesehen. Recherchen von regensburg-digital belegen: Zimmermanns Hang zur „Knabenliebe wie bei den alten Griechen“ ebnete Ratzinger den Weg.

Vor allem weil der sexuelle Wiederholungstater Georg Zimmermann als Domkapellmeister ein viel zu gro?es Risiko darstellte und somit als Nachfolger ausschied, kam Georg Ratzinger im Jahre 1963 in die engere Wahl. Fotos: Archiv/ Staudinger

Die Wege des Herrn sind unergrundlich. Was fur viele Glaubige eine gottliche Fugung darstellt, betrachten andere im Kontext von Protektionismus und gesellschaftlicher Entwicklung. Georg Ratzinger glaubt und sagt indes, dass erst drei Menschen in die Ewigkeit abgerufen werden mussten, damit sein Weg nach Regensburg ins Amt des Domkapellmeisters offen wurde. Untersucht man die damaligen Ereignisse und Zeitumstande am Ende der Ara Theobald Schrems, zeichnet sich das Bild eines unsaglichen Krisenmanagements ab, in das Georg Ratzinger verwickelt wurde – zu Zeiten, in denen Missbrauchsvorfalle in den Einrichtungen der Domspatzen systemgefahrdende Ausma?e annahmen und Georg Zimmermann untragbar wurde.

Regent Schrems ubergibt die Leitung an drei Gewalttater

Dreiunddrei?ig Jahre regierte Domkapellmeister Theobald Schrems (geb. 1893) unangefochten bei den Regensburger Domspatzen. Bis 1957 war er allein rechtlich verantwortlich fur das Vorschulinternat der in Etterzhausen und die Internate in Regensburg. Ende der 1950er ging Schrems, gesundheitlich bereits angeschlagen, daran, die Fuhrung der diversen Einrichtungen in jungere Hande zu ubergeben. Mit der Grundung der Stiftung Etterzhausen der Regensburger Domspatzen (gegr. 27. 2.1957) ubertrug er die Leitung des Grundschulinternats in Etterzhausen schrittweise an Johann Meier.

Als stellvertretenden Leiter der Regensburger Internate baute er Friedrich Zeitler auf, der in Regensburg wie Meier seit 1953 als Prafekt tatig gewesen war. Da Zeitler wegen sexuellen Ubergriffen im Dominternat ins Gefangnis gehen musste, ubertrug man Georg Zimmermann die Internatsleitung. Sowohl Zeitler wie Meier als auch Zimmermann waren eine ausgesprochen schlechte Wahl. Unzahligen Buben taten sie korperliche und sexuelle Gewalt an. Alle drei Geistlichen hatten ihrerseits zuvor im Bischoflichen Knabenseminar Obermunster eine mit schwarzer Padagogik gesattigte, gewalttatige Sozialisation erfahren, in der Ubergriffe an der Tagesordnung waren.

Verharmlosung des Vergewaltigers Zeitler

Gab sich erst unwissend uber den Missbrauchstater Zeitler und lobte ihn spater uneingeschrankt: Theobald Schrems. Foto: privat

Nachdem Eltern eines Domschulers den Internatsdirektor Zeitler (geb. 1918 in Mitterteich) angezeigt hatten, floh er im Mai 1958 in die Schweiz. Der Vorwurf: unter anderem mehrfache Unzucht mit einem Abhangigen bzw. Kindern. Nach der Ruckkehr von seiner mehrmonatigen Flucht verurteilte das Regensburger Landgericht Zeitler im April 1959 zu drei Jahren Gefangnis. Der Prozess brachte ferner zutage, dass Zeitler bereits seit Ende der 1930er Jahre in der Domprabende und auf NS-Propagandareisen des Domchors sexuell ubergriffig geworden war.

Der rechtlich verantwortliche Theobald Schrems gab sich anlasslich des Strafprozesses unwissend und uberrascht, in seinen wenigen Jahre spater erscheinenden Erinnerung hingegen lobt er den straffallig gewordenen Prafekten ohne Einschrankung. Wahrend der Prozess gegen Zeitler vorbereitet wurde, erfolgte zum 1. Januar 1959 die Berufung von Georg Zimmermann als Direktor der Internate der Domprabende und des Domgymnasiums.

Ende der 1950er Jahre war der laufende Internatsbetrieb stark gefahrdet: von sexuellen Ubergriffen betroffene Schuler wurden des Hauses verwiesen, andere gingen freiwillig, Eltern mussten besanftigt werden. Nicht zuletzt wegen der sinkenden Neuanmeldungen sank die Schulerzahl im Schuljahr 1960 auf die problematische Gro?e von 207.

Georg Zimmermann: Absetzung nach acht Monaten

Protegierte Zimmermann: Bischof Michael Buchberger.

Die neun Jahre vor seiner Berufung waltete Zimmermann als Prafekt im Bischoflichen Knabenseminar in Straubing, seit 1. September 1954 als Musikprafekt. Schon damals habe ihn Bischof Buchberger protegiert und zum Musikstudium freigestellt, hie? es aus dem familiaren Umfeld Zimmermanns. Ein ehemaliger Straubinger Internatsschuler bestatigt unserer Redaktion gegenuber, dass es in Straubing neben korperverletzender Zuchtigung auch sexuelle Gewalt durch geistliche Prafekten gegeben habe. Nach internen Untersuchungen der Seminarleitung mussten demzufolge zwei ubergriffige Priester das Internat verlassen. Ob seinerzeit auch gegen Zimmermann wegen sexueller Ubergriffe ermittelt wurde und wohin die ubergriffigen Priester versetzt wurden, ist noch unbekannt.

Als Zimmermann von Straubing nach Regensburg wechselte, eilte ihm kein guter Ruf voraus. Vor diesem Hintergrund uberrascht es aus heutiger Sicht nicht, dass von Georg Zimmermann auch in Regensburg sexuelle Gewalt gegen Domschuler ausgegangen sein soll, wie 2010 offentlich bekannt wurde. Jedenfalls wurde er bereits nach einer nur achtmonatigen Amtszeit in Regensburg klammheimlich abgesetzt. Genauer gesagt: Man beurlaubte ihn im September 1959 ohne offentliches Aufsehen und legte dadurch einen Schleier uber die Ereignisse, der bis heute verdunkelt.

Knabenliebe „wie bei den alten Griechen“

Die Schwester Zimmermanns (verstorben 2015) raumte unserer Redaktion gegenuber bereits im April 2013 ein, dass ihr Bruder 1959 im Domspatzeninternat der Knabenliebe „wie bei den alten Griechen“ zugeneigt gewesen sei. Hinsichtlich seiner nur achtmonatigen Amtszeit als Direktor vertrat sie eine befremdliche Ausrede. Um sich nicht den „Bubenschander“ nachsagen lassen zu mussen, sei er freiwillig gegangen. Offenbar glaubte die Schwester bis zuletzt, dass die „Knabenliebe“ im Gegensatz zum „Bubenschander“ nichts Ehrenruhriges sei.

Chormanager Hartmann: „unklar, ob Zimmermann in den Einrichtungen der Domspatzen uberhaupt ubergriffig geworden ist.“ Foto: Archiv/ as

Im Marz 2010 gab der diozesane Pressesprecher an, Zimmermann sei im September 1959 fur ein Musikstudium freigestellt worden. Dies steht im Widerspruch zum vom Ordinariat offiziell herausgegebenen Geistlichen Schematismus des Bistums Regensburg von 1957. Darin hei?t es: „z. Zt. zum Studium beurlaubt.“ Dies steht im Einklang mit Recherchen von regensburg-digital, wonach Zimmermann ein Musikstudium bereits in seiner Straubinger Zeit, Mitte der 1950er, absolviert hatte.

Vor wenigen Tagen erklarte Domchor-Manager Christof Hartmann im Regensburger Presseclub, es sei unklar, ob Zimmermann in den Einrichtungen der Domspatzen uberhaupt ubergriffig geworden sei. Da diese Uninformiertheit (gepaart mit einer gebetsmuhlenartigen Propaganda fur die Institution „Domspatzen“) dem Kenntnisstand von Marz 2010 entspricht, fragt man sich, ob es der Chormanager im sechsten Jahr der Verschleppung der Aufklarung wirklich nicht besser wei?. Haben die 2010 vom bischoflichen Ordinariat mehrfach angekundigten Recherchen zu Zimmermann je stattgefunden?

Wie weit in der Causa Zimmermann die Aufklarungsarbeit des Sonderermittlers Ulrich Weber reicht, wird sich spatestens in seinem noch ausstehenden Abschlussbericht zeigen. Die sicherlich gesauberte Personalakte Zimmermanns und ein fehlender Zugang zum bischoflichen Geheimarchiv werden aber einer restlosen Aufklarung im Wege stehen, so viel lasst sich jetzt schon sagen.

Zimmermann als Chorleiter im Klosterinternat

Wenn Zimmermann am 1. September 1959 nicht zum Musikstudium beurlaubt worden war, was tat er dann? Ein ehemaliger Internatsschuler hat unsere Redaktion darauf hingewiesen, dass Zimmermann nach seiner Beurlaubung zunachst in einem Klosterinternat der Steyler Mission tatig war. Im niederlandischen Steyl unterrichtete er Musik am Gymnasium St. Michael und leitete den Schulchor. Ein weiterer ehemaliger Steyler-Schuler bestatigte dies und erinnert sich genau an das unvermittelte und plotzliche Auftreten Zimmermanns im Klosterinternat.

Man habe es als gewisse Ehre empfunden, von einem Direktor des weltberuhmten Domspatzen-Chors personlich unterrichtet zu werden. Von Zimmermanns unruhmlicher Vergangenheit habe man damals jedoch nichts erfahren, nach etwa einem Jahr sei er genauso unvermittelt wieder verschwunden. Dass das Bischofliche Ordinariat Zimmermanns hollandisches Intermezzo bislang nicht einraumen konnte oder wollte, wirft kein gutes Licht auf den vorgeblich vorhandenen Aufklarungswillen (oder das Aufklarungsvermogen?) der Diozese.

Zimmermann rekrutiert Missbrauchsopfer in seiner Heimatgemeinde

Wie ging es weiter mit Zimmermann? Im Laufe des Jahres 1961 wich er in seine Heimatgemeinde Eslarn aus, um weitere Ausbildungspraxis „fur den sakralen Dienst im Chorgesang“ zu erwerben. So wei? es die Eslarner Gemeindechronik von 1965 zu berichten. Offenbar glaubte Zimmermann, in Eslarn fur eine spatere Leitung des Domchors uben zu konnen. Noch 1961 grundete und leitete er die „Sing- und Spielschule Eslarn“, aus der sich die „Knaben-Kapelle Eslarn“ entwickelte, die angeblich landesweite Beachtung genoss und einmal sogar die Eroffnung des Munchner Oktoberfestes mitgestalten durfte.

Die Knaben-Kapelle Eslarn 1963. Foto: privat

In diesem Zusammenhang konnte Zimmermann seine Missbrauchsopfer bequem rekrutieren, bis er 1968 nach einer Strafanzeige von Eltern eines Musikschulers vorubergehend aus dem Verkehr gezogen wurde. Das Weidener Landgericht verurteilte ihn daraufhin im Februar 1969 zu 20 Monaten Gefangnis wegen § 174 Unzucht mit Abhangigen und § 175 Unzucht unter Mannern in neun Fallen. Der Staatsanwalt sprach seinerzeit von „der Spitze eines Eisbergs“, weitere Ubergriffe wurden zum Schutz der Betroffenen gar nicht verhandelt.

Der damalige Prozessbericht im NEUEN TAG erwahnt weder, dass es sich bei dem Tater um einen Priester handelte, noch fielen die Worte „Domspatzen“, „Domkapellmeister“ oder „Diozesanmusikdirektor“. Ob aus gut gemeinter, aber fataler Rucksichtnahme auf die „Institution“ oder aus vertuschender Einflussnahme, sei dahingestellt. Die Verteidigungsstrategie des in der Sache gestandigen Zimmermann ging laut Pressebericht dahin, sich selber als zu kurz gekommener Anwarter zu Hoherem und als Opfer einer Verfuhrung durch einen Homosexuellen darzustellen. Als Einen, der auch von Frauen abgewiesen wurde. Diese absonderliche, aber strafmildernde Argumentation ging wohl auf seinen Regensburger Anwalt Rudolf Ederer zuruck.

Gerichtsakten bestatigen: Zimmermann sollte Leiter des Domchores werden

Dass Zimmermann Schrems ins Domkapellmeisteramt nachfolgen sollte, konnte man bis dato zwar von unterschiedlichen, aber unbestatigt gebliebenen Stimmen aus kirchlichen und domspatzischen Umfeldern vernehmen. Nur nicht von diozesaner Seite, da gab es weder Dementi noch Bestatigung. Aus von regensburg-digital ausgewerteten Gerichtsakten geht nunmehr eindeutig hervor, dass Georg Zimmermann es war, der Schrems in der Leitung des Domchors nachfolgen hatte sollen. Als Zimmermann 1963 erfuhr, dass er nicht zum Zuge kommen werde, fuhlte sich der serielle Missbrauchstater „hintergangen“ und zuruckgesetzt.

Etwa zeitgleich erhielt er auf Beschluss einer Elternversammlung pro Eslarner Musikschuler monatlich funf DM Vergutung, die er zur Halfte privat verwenden durfte und die spater um zwei DM pro Monat erhoht wurde. Die erste Zeit in Eslarn soll der beurlaubte Domspatzendirektor ohne Vergutung gearbeitet haben.

Eslarn ehrte den Missbrauchstater Zimmermann mit einem Stra?ennamen. Foto: Archiv/ Werner

Offenbar als Ersatz fur den lang ersehnten, aber verpatzten Aufstieg zum Domkapellmeister wurde Zimmermann im Juni 1964 das hochrangige Amt des Diozesanmusikdirektors zugetragen. In ebendieser kirchlichen Fuhrungsposition leitete er weiter die „Knaben-Kapelle Eslarn“ und missbrauchte dabei unzahlige Buben. Wenige Monate nach dem Urteil von 1969 reagierte das Bischofliche Ordinariat dann wie gehabt und beurlaubte Zimmermann abermals: vom zweiten kirchlichen Direktorenamt, das er fur seine sexuellen Ubergriffe benutzte.

Ratzingers verklarende Sicht auf die Ereignisse

Seine letzte Anstellung bei der Diozese fand Zimmermann ubrigens im Bischoflichen Studienseminar in Weiden, aus dem 2010 ebenfalls korperverletzende Ubergriffe gemeldet wurden. Nach seiner einjahrigen Tatigkeit als Musikprafekt und weiteren Vorfallen in Weiden schickte man ihn im November 1973 als 57jahrigen in vorzeitigen Ruhestand, den er als Pfarrer i.R. in Eslarn verbrachte. 1984 erlag Georg Zimmermann einem Magenkrebsleiden. Wegen seiner vorgeblichen Verdienste tragt eine dortige Stra?e seinen Namen – in diversen Festschriften und Chroniken hingegen wurde dieser getilgt.

Im Fruhjahr 1963 wurde Georg Ratzinger das Amt des Domkapellmeisters angeboten. Seine verklarende Sicht auf die Ereignisse und Hintergrunde zeichnet ein anderes Bild.

Theobald Schrems – wie der liebe Gott?

Als ware er „dem lieben Gott personlich begegnet“. So beschreibt Georg Ratzinger im Ruckblick das erste Gesprach mit Theobald Schrems im Jahre 1953. Zehn Jahre nach dieser nicht naher ausgefuhrten Unterhaltung habe ihn der damals bereits schwerkranke Schrems Anfang 1963 die Nachfolge im Amt des Domkapellmeisters antragen lassen, so Ratzinger 1993 kurz vor seiner Pensionierung in seinem Aufsatz Der Nachfolger.

„Der liebe Gott personlich“: Buste fur Theobald Schrems. Foto: Archiv/ rw

Einer spontanen und begeisterten Zusage habe, so Ratzinger weiter, entgegengestanden, dass er seiner hochbetagten und haushaltfuhrenden Mutter nicht schon wieder einen Umzug zumuten wollte. Zum anderen habe es bereits einen Priester als Konkurrenten gegeben, den der Regensburger Bischof Buchberger schon viele Jahre zuvor als Kapellmeister auserkoren hatte. Doch die „Fugung der Providenz“ war ihm wohlgesonnen. Ratzinger: „In nicht langer Zeit nacheinander“ verstarb „zuerst Erzbischof Buchberger … dann Domkapellmeister Schrems und ein Monat spater meine liebe Mutter, die am 16. Dezember 1963 einem schmerzlichen Krebsleiden erlag“. Somit sei „der Weg nach Regensburg offen“ geworden.

Ist all dies glaubhaft und stimmig? Als Georg Ratzinger 1963 zum Nachfolger fur Schrems auserwahlt wurde, war Bischof Buchberger (verst. 10. Juni 1961) bereits fast zwei Jahre tot. Von daher klingt es reichlich konstruiert, wenn Ratzinger von einer „Fugung“ in „nicht langer Zeit“ spricht. Vor allem aber lebte der Konkurrent und Priester noch, den Bischof Buchberger als Nachfolger fur Schrems ausgewahlt hatte: Zimmermann. Hatte die gottliche Vorsehung nicht vielmehr ihn als Konkurrenten „in die Ewigkeit hinuberrufen“ mussen, um stimmigerweise von „Fugung“ sprechen zu konnen? Befremdlich auch, warum fur Ratzinger das Wort und Versprechen eines Bischofs nicht uber seinen Tod hinaus gilt. Vor allem aber wurde man von Ratzinger gerne wissen, ob die gottliche Vorsehung auch die sexualisierte Gewalt in den Einrichtungen der Domspatzen verfugte?

Einflussnahme des Bruders?

Von einem ehemaligen und gut informierten Geigenlehrer der „Domspatzen“ kann man eine andere, sehr weltliche Deutung fur Georg Ratzingers Ruf nach Regensburg vernehmen. Demnach habe der damalige Professor Josef Ratzinger 1963 sich fur die Berufung seines Bruders Georg stark gemacht. Da Josef Ratzinger als Konzilstheologe, Berater und Redenschreiber des Kolner Erzbischofs Kardinal Frings tatsachlich gewisse Verdienste und Einflussmoglichkeiten erworben hatte, klingt diese Deutung wesentlich plausibler als die Rede von der Fugung, die nicht einmal davor zuruckschreckt, den Todeszeitpunkt der krebskranken Mutter auszudeuten.

Aufs Ganze gesehen: Vor allem weil der sexuelle Wiederholungstater Georg Zimmermann als Domkapellmeister ein viel zu gro?es Risiko darstellte und somit als Nachfolger ausschied, kam Georg Ratzinger im Jahre 1963 in die engere Wahl. Ohne hier seine musikalischen Befahigung zu thematisieren: Ratzingers wichtiges Pfund war, dass ihm der Makel eines sexuellen Gewalttaters nicht anhaftete.

Dass Ratzinger bereits in seiner Zeit als Traunsteiner Chorleiter Knaben wie ein „cholerischer Sadist“ zuchtigte und korperverletzend strafte – wie kurzlich ein ehemaliger Chorschuler unserer Redaktion gegenuber beklagte – stand seinem Ruf nach Regensburg nicht entgegen. Eher qualifizierte ihn diese personlichkeitsschadigende schwarze Padagogik, die er als Schuler des bischoflichen Knabenseminars in Traunstein selbst erleiden musste. Vieles sprach fur Ratzinger: Er wurde in einem Bischoflichen Knabenseminar sozialisiert, war Priester und Kirchenmusiker, und er hatte hinsichtlich sexuellen Missbrauchs weder ein aktives noch aufklarerisches Interesse. Von Ratzinger mussten folglich weder die diozesanen Hierarchen noch die Vertuscher etwas befurchten. Im Marz 2010, zu Hochzeiten des Missbrauchsskandals, gab er in einem entblo?enden Interview an: „Bei uns im Haus ist uber diese Dinge nie gesprochen worden“.

Fehlende Interventionen gegen Ubergriffe

Der Ruckblick in die Ubergangszeit Schrems-Ratzinger zeigt zweierlei: Zum einen waren korperverletzende Strafen und sexuelle Ubergriffe systemimmanenter Bestandteil nicht nur in den Einrichtungen der „Domspatzen“, sondern auch in den bischoflichen Knabenseminaren, wo viele Tater sozialisiert worden waren. Die weit verbreitete mediale Fixierung auf die Institution „Domspatzen“ verstellt allerdings den Blick auf die entsprechenden Missstande und Verantwortliche. Indes wurde das Ordinariat eines Bischofs Voderholzer die Ubergriffe in anderen kirchlichen Einrichtungen, wenn uberhaupt und analog zu den „Domspatzen“, wohl nur unter starken offentlichen Druck aufklaren.

Zum anderen zeigt sich, dass sexuelle Ubergriffe nur dann unterbunden wurden und sie Konsequenzen fur die Tater nach sich zogen, wenn Eltern Strafanzeige erstatteten. Strafrechtliche Interventionen aus dem Kreis der Fuhrungskrafte oder des Personals der „Institution Domspatzen“ kamen – soweit bekannt – uberhaupt nicht vor. Allenfalls halbherzige interne Korrekturversuche, die im Inneren verpufften. Zum Schaden der Betroffenen, wie Rechtsanwalt Weber im seinem Zwischenbericht aufzeigen konnte.

Mehltau im Presseclub

Im Regensburger Presseclub wurde zuletzt die Frage erortert, ob und welche Moglichkeiten Georg Ratzinger zur Intervention, etwa gegen das Gewaltregime von Johann Meier, gehabt hatte. Der SZ-Redakteur Rudolf Neumaier, einst Domspatzen-Schuler unter Meier und Ratzinger, klammerte sich hierbei an die Erklarung, dass Georg Ratzinger gegen die allseits bekannten blutig-sadistischen Ubergriffe des Direktors Johann Meier in Etterzhausen/ Pielenhofen nichts ausrichten hatte konnen, weil der in einer von der Regensburger Domspatzenfuhrung angeblich vollig abgeschotteten und abgetrennten Einrichtung gewutet hatte.

Podium im Presseclub: Ludwig Faust, Rudolf Neumaier, Moderator Gerhard Schiechl um Dochchormanager Christof Hartmann. Das Bistum weigerte sich, einen Vertreter zu schicken. Fotos: as

Die eigentliche Kernfrage, ob Ratzinger gegen Meier uberhaupt intervenieren hatte wollen, stellt und erwagt Neumaier bemerkenswerterweise gar nicht. Stattdessen nimmt er fur Ratzinger eine ablehnende, aber aussichtslose Haltung gegen Meiers Regime als gegeben an und stellt allein die rhetorische Gegenfrage: Warum (wenn nicht wegen der angenommen Aussichtslosigkeit) hatte Ratzinger den Meier „denn sonst gewahren lassen sollen“? Der promovierte Historiker Neumaier kann sich offenbar bis heute nicht vorstellen, dass Ratzinger gegen den Gewalttater Meier nicht einschreiten wollte, weil er dessen Erziehungsstil im Gegensatz zu den Anhangern „der modernen Zeit“ verstand und ausdrucklich befurwortete.

Ratzinger: Mindestens duldender Teil eines gewalttatigen Systems

Faktisch war Ratzinger ein tragender, zumindest ein duldender Teil dieses gewalttatigen Systems und nicht dessen Gegner. Hatte Ratzinger oder ein anderes tatsachlich in der rechtlichen Verantwortung stehendes Kuratoriumsmitglied seine Garantenpflicht fur die Schuler wahrgenommen und gegen Meier Strafanzeige erstattet oder zumindest die von Eltern vorgetragenen Beschwerden konsequent unterstutzt, hatte man Meier das grausame Handwerk sicherlich legen konnen.

Ebenso verhalt es sich bei den sexuellen Ubergriffen in den Regensburger Einrichtungen. Hatte Ratzinger (oder eine andere Person aus der Institution bzw. dem Domkapitel) Figuren wie den von Domschulern als „Schwuli“ bezeichneten Prafekten Sturmius Wagner mit einer Strafanzeige wegen sexuellem Missbrauchs gedroht oder eine solche erstattet, waren wohl viele seiner Zoglinge von Ubergriffen verschont geblieben.

Ratzinger wusste von sexuellen Ubergriffen

Am Beispiel von Alexander Probst, dessen Vater sich bei Ratzinger wegen Wagners Ubergriffen beschwerte, wird dies deutlich. Spatestens an diesem Punkt hatte Ratzinger oder der damalige Internatsdirektor Hubert Schoner, intervenieren mussen. Ein Einschreiten hatte allerdings vorausgesetzt, dass sie eine ablehnende und konsequent bis zur Strafanzeige reichende Haltung gegenuber sexuellem Missbrauch vertreten und praktiziert hatten.

Will nichts von den sexuellen Ubergriffen wahrend seiner Zeit als Internatsleiter mitbekommen haben: Pralat Hubert Schoner. Foto: Archiv/ Staudinger

Georg Ratzinger jedoch sprach eigenen Angaben zufolge nicht einmal uber diese Dinge. Und Hubert Schoner will weder wahrend seiner Amtszeit noch nachher etwas mitbekommen zu haben. In der Rede von der Fugung der Providenz sind die personlichen Verantwortlichkeiten zur Verhinderung und Ahndung von sexueller und korperlicher Gewalt nicht vorgesehen. Deshalb scheint sie so attraktiv zu sein.

 

 

 

 

 




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