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Verjahrte Sex-ubergriffe: Schweizer Bischofe Zahlen 300'000 Franken in Fonds

cath.ch
April 28, 2016

https://www.kath.ch/newsd/sexuelle-uebergriffe-finanzielle-unterstuetzung-fuer-opfer-verjaehrter-faelle/

[Les eveques suisses versent 300'000 francs pour les victimes d'abus sexuels] https://www.cath.ch/newsf/eveques-suisses-versent-300000-francs-victimes-dabus-sexuels/

Missbrauch (Symbolbild) | © 2012 pixabay CC0

Zurich, 28.4.16 (kath.ch) Opfer von sexuellen Ubergriffen im kirchlichen Umfeld, deren Fall bereits verjahrt ist und die zum Teil in vorgerucktem Alter sind, sollen bald einen finanziellen Beitrag seitens der Kirche erhalten: Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK), die Ordensgemeinschaften und die Romisch-Katholische Zentralkonferenz (RKZ) haben bisher 460’000 Franken fur diesen Fonds zugesagt, wie Giorgio Prestele, Prasident des Fachgremiums sexuelle Ubergriffe im kirchlichen Umfeld, gegenuber kath.ch sagte.

Sylvia Stam

Mit einer halben Million soll der Fonds fur verjahrte Falle geaufnet werden, sagt Giorgio Prestele, Prasident des Fachgremiums sexuelle Ubergriffe im kirchlichen Umfeld der SBK. Die Bistumer hatten einen Beitrag von 300’000 Franken zugesagt. «Diese Ruckmeldungen sind sehr rasch gekommen, das war uberhaupt kein Thema!», betont Prestele. Nun hat auch die RKZ, der Zusammenschluss der kantonalen Korperschaften, einen Betrag von 150’000 Franken zugesichert. Die als Verein organisierte Vereinigung der Hohern Ordensobern (VOS’USM), die uber wenig finanzielle Mittel verfugt, hat 10’000 Franken zugesagt. Prestele hofft fur die fehlenden 40’000 Franken auf Ordensgemeinschaften, von denen man annehmen kann, dass sie uber Geld verfugen, etwa Kloster grosserer Wallfahrtsorte.

Zum Verteilschlussel innerhalb der Bischofskonferenz mochte sich Prestele nicht aussern. «Die SBK hat – ahnlich wie die RKZ – einen internen Verteilschlussel. Es ist letztlich auch nicht wichtig, welches Bistum wie viel Geld gesprochen hat; was zahlt sind die Mitverantwortung und die Solidaritat», findet Prestele. Das Geld der Bistumer stamme nicht aus Kirchensteuern, sondern aus anderen Quellen wie etwa Ertragen aus Liegenschaften und Landereien.

Mitverantwortung der Korperschaften als Anstellungsbehorden

Dass auch die RKZ sich an diesem Fonds beteiligt, hat laut Prestele damit zu tun, dass die Korperschaften auch vor 50 Jahren in den meisten Fallen Anstellungsbehorden der kirchlichen Mitarbeiter waren. «In der Abstufung des Betrags zwischen SBK und RKZ soll die jeweilige Verantwortlichkeit ausgedruckt werden.» Der Betrag der RKZ setze sich aus Kirchensteuergeldern zusammen, die von den kantonalen Korperschaften stammen.

Dass das Geld von der RKZ und nicht von den einzelnen kantonalkirchlichen Korperschaften kommt, begrundet die RKZ damit, dass «die Entscheidungsfindung auf einfachem Weg erfolgen» und Diskussionen in den zahlreichen Gremien vermieden werden sollen, heisst es in einem Schreiben der RKZ zuhanden der SBK, das kath.ch vorliegt. Da viele Opfer schon ein hohes Alter erreicht haben, sollen die Errichtung des Fonds und die notigen Verfahren fur die Abklarung, ob jemand Anrecht auf Entschadigung hat, moglichst rasch erfolgen.

Der Fonds wird ausschliesslich eingerichtet fur Falle von sexuellen Ubergriffen im kirchlichen Umfeld, die bereits verjahrt sind. Bei noch nicht verjahrten Fallen kann das Opfer Anzeige erstatten und bei den kantonalen Opferberatungsstellen Unterstutzung erhalten. Die betroffenen Organisationen wie SBK, RKZ und die VOS’USM sind sich laut Prestele bewusst, dass das geschehene Unrecht in keinem Fall mit Geld abgegolten werden kann. «Dennoch kann Geld fur bestimmte Falle eine kleine Unterstutzung sein, etwa zur Finanzierung psychologischer Hilfe.»

Grundbetrag von 10’000 Franken

Bei der Hohe des Betrags gehe man vom Grundprinzip eines fixen Betrags von 10’000 Franken pro Opfer aus. Es sei aber moglich, dass der Betrag nicht ausgeschopft werde. In sehr schweren Einzelfallen sei eine Verdoppelung des Betrags moglich. Dieses Prinzip orientiere sich am Soforthilfefonds fur Betroffene fursorgerischer Zwangsmassnahmen und an Losungen wie sie beispielsweise von der Deutschen Bischofskonferenz getroffen wurden.

Rechnet das Fachgremium somit lediglich mit 50 Fallen? «Wir erwarten nicht, dass sich Scharen von Opfern melden werden», so Prestele. Er begrundet dies damit, dass es in der Schweiz im Vergleich bedeutend weniger kirchlich gefuhrte Einrichtungen gegeben habe und die Schweiz auch weniger kirchliches Personal habe als etwa Deutschland. Er halt es auch fur moglich, dass es in der Schweiz aufgrund des dualen Systems zu weniger Ubergriffen kam. «Wenn sich aber wider Erwarten 100 oder 200 Personen melden sollten, mussen alle beteiligten Instanzen nochmals in die Kasse greifen», so Prestele.

«Den meisten Opfern geht es nicht primar um Geld», bestatigt auch Joseph Bonnemain, der als Sekretar des Fachgremiums amtet, gegenuber kath.ch. Thema der Gesprache sei oft der Vertrauensverlust zur Kirche und der Glaubensverlust gewesen. «Viele Opfer wollen vor allem der Kirche ihr Leiden ausbreiten und von dieser endlich Ernst genommen werden.»

Der Fonds wird vorerst fur zehn Jahre angelegt. Sollte das Geld in dieser Zeit nicht aufgebraucht werden, so soll das Restkapital an eine anerkannte Sozialeinrichtung uberwiesen werden und nicht etwa zuruck an die Bistumer gehen, erklart Prestele.

Wer entscheidet?

Wie aber wird entschieden, ob ein Opfer eines verjahrten Falles einen Beitrag aus dem neuen Fonds erhalt? Die Opfer konnen sich an die Fachgremien fur sexuelle Ubergriffe im kirchlichen Umfeld wenden, welche es in den einzelnen Bistumern gibt (so genannte diozesane Fachgremien). Dies gilt auch fur Falle, bei denen der Tater einem Orden angehort hat. Fur das Bistum Lausanne-Genf-Freiburg gibt es ausserdem eine nichtkirchliche Kommission, welche die gleiche Aufgabe wahrnimmt wie die diozesanen Fachgremien, namlich die Anhorung und Begleitung von Opfern. Auch andere Bistumer konnen eine Vereinbarung mit dieser Kommission abschliessen. Sie sei nicht Konkurrenz, sondern eine Alternative zum unabhangigen Angebot, das die SBK unterbreite.

«Bis ein Dossier steht, muss ein Opfer viel auf sich nehmen, es muss die ganze Geschichte wieder aufrollen, das ist jedes Mal wieder eine Konfrontation mit der eigenen Geschichte», gibt Prestele zu bedenken. Das Gremium pruft den Sachverhalt und wenn das Opfer Anspruch auf Genugtuung hat, reicht es das Dossier an die «Kommission Genugtuung» (KG) weiter. «Die KG pruft lediglich die Plausibilitat des Dossiers und entscheidet uber die Hohe des Betrags», erklart Prestele.

Neutrale Fachpersonen

Die KG soll aus hochstens sieben Mitgliedern bestehen, darunter neutrale Fachpersonen aus den Bereichen Psychologie, Medizin, Recht sowie Mitarbeiter von Opferhilfestellen, ausserdem je ein Vertreter aus dem Personalwesen einer Diozese, einer Ordensgemeinschaft und einer Korperschaft. Wichtig sei in jedem Fall eine hohe Fachkompetenz, grosstmogliche Objektivitat und Unabhangigkeit, so Prestele.

Die Mitglieder der Kommission stehen derzeit noch nicht fest, es bestehe aber eine Liste mit Anfragen, erklart Prestele. Ebenfalls noch nicht bestimmt ist eine Institution, welche das Fondskonto treuhanderisch verwalten wird. Prestele hofft, dass beides bis Ende Juni dieses Jahres stehen wird. (sys)

 

 

 

 

 




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