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Aufarbeitung Von Kindesmissbrauch Blick in Die Dunkelsten Ecken

Weser Kurier
May 4, 2016

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Berlin. Sechs Jahre ist es her, dass Mat­thias Katsch dem Leiter des Canisius-Kollegs uber den sexuellen Missbrauch berichtete, den er dort als Schuler erfahren musste. Katsch war 46, als er sein Schweigen brach. Die Berichte uber das katholische Gymnasium in Berlin losten 2010 eine Welle der Enthullungen aus, die der Debatte uber Missbrauch in Deutschland eine neue Dimension gaben. Sechs Jahre spater sitzt Katsch nun als standiger Gast in der Unabhangigen Kommission fur die bundesweite Aufarbeitung von Kindesmissbrauch. Das neue Gremium aus sieben ehrenamtlichen Experten hat am Dienstag auf der Bundespressekonferenz in Berlin sein Arbeitsprogramm bis 2019 vorgestellt.

Bereits im Jahr des Missbrauchsskandals hatte die Bundesregierung einen Runden Tisch eingerichtet und die Stelle eines Unabhangigen Beauftragten fur Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs geschaffen. Amtsinhaber Johannes-Wilhelm Rorig sagte am Dienstag, es sei ein besonderer Tag: „Jetzt endlich ist eine Tur geoffnet, um Tater, Verharmloser und Unterstutzer zu erkennen und den Opfern Genugtuung zu geben.“ Aufgrund der Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) fur Europa gehe man pro Jahr von einer Million betroffener Kinder und Jugendlicher in Deutschland aus – und es gebe keine Anzeichen fur einen Ruckgang der Falle, so Rorig.

Die Kommission sei weltweit einzigartig, sagte die Vorsitzende Sabine Andresen. Denn sie werde sich nicht nur mit Missbrauch in Institutionen wie Schulen oder der Kirche befassen, sondern den Blick auch auf Familien richten. „Brechen Sie Ihr Schweigen“, appellierte Tamara Luding an die Betroffenen. Luding arbeitet seit Jahren als Beraterin und sitzt der Kommission wie Katsch als standiger Gast bei. Die Hauptarbeit der Kommission werde in Anhorungen der Betroffenen und Zeitzeugen bestehen, sagte Andresen. Das Ziel sei nicht, eine Statistik zu erstellen, sondern in die Tiefe zu gehen und die Strukturen zu verstehen, die sexuellen Kindesmissbrauch moglich machten, betonte Andresen. „Jede Geschichte zahlt.“

„Wir hoffen, dass die Kommission einen gesellschaftlichen Umdenkprozess ansto?t“, sagte auch Thomas Schlingmann von der Beratungsstelle Tauwetter e.V.. Er hat den Aufarbeitungsprozess seit 2010 als Mitglied einer Untergruppe des Rundes Tisches begleitet. Zudem musse sich die Situation der Beratungsstellen verbessern. „Wir brauchen dringend einen Ausbau der Versorgung und finanzielle Absicherung“, forderte Schlingmann. Das sei Aufgabe der Politik – und die Kommission konne den Ansto? dazu geben.

Die Kommission nimmt ihre Arbeit fur drei Jahre auf. Selbst handeln konnen die Experten nicht. „Wir haben keinen gesetzlichen Auftrag“, sagte die Vorsitzende An­dresen. Daher konne man niemanden zur Herausgabe von Informationen zwingen oder Akteneinsicht verlangen. Die Evangelische Kirche und die katholische Bischofskonferenz hatten aber unter anderem ihre Unterstutzung zugesichert, hie? es am Dienstag. Ob Informationen uber aktuelle Straftaten weitergeleitet werden mussen, werde im Einzelfall entschieden.

Schweigen, wegsehen, vertuschen: „Missbrauch ist kein privates Schicksal, sondern ein gesellschaftlicher Skandal“, sagte Matthias Katsch. „Wir wollen in die dunkelsten Ecken schauen und die Verantwortlichen benennen.“ Noch immer warteten viele Opfer auf Anerkennung. Missbrauch sei keine abgeschlossene Geschichte – er finde heute statt.

 

 

 

 

 




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