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Kritische Auseinandersetzung Mit Eigener Geschichte

Caritas
June 24, 2016

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In einer heute in Berlin vorgestellten Studie setzt sich der Fachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) mit der Situation auseinander, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderung in den Anfangsjahren der Bundesrepublik in katholischen Einrichtungen Gewalt, Missbrauch und Leid erfahren haben.

Die Studie "Heimkinderzeit. Eine Studie zur Situation von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der katholischen Behindertenhilfe in Westdeutschland (1949 - 1975) wurde im Auftrag des CBP vom Institut fur Angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung (IAF) in Freiburg durchgefuhrt. Mitfinanziert und mitgetragen wird sie von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), dem Deutschen Caritasverband (DCV), der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) und der Veronika-Stiftung.

Mit der Studie bekennt sich der Deutsche Caritasverband mit seinem Fachverband CBP zu seiner eigenen Geschichte und zeigt ein hohes Interesse an einer selbstkritischen und aktiven Aufarbeitung. Diese ist notwendig, um die Arbeit der heutigen Behindertenhilfe und Psychiatrie glaubwurdig an den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention zu orientieren und im Einklang mit dem christlichen Menschenbild umzusetzen.

Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen in dieser Zeit massiven Gewalterfahrungen in den Heimen ausgesetzt waren. Die Ursachen dafur waren vielfaltig. Sie finden sich in der Uberforderung der Ordensschwestern und Ordensbruder, die die Hauptlast der Arbeit in den Heimen trugen, in der fehlenden Fachlichkeit der damaligen Zeit, in Gewalt fordernden Strukturen, in der geringen staatlichen Unterstutzung der Heime und auch im Fehlverhalten einzelner Verantwortlicher.

Der Kolner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, stellt klar: "Als Vorsitzender der Caritaskommission der Deutschen Bischofskonferenz sage ich ausdrucklich, dass ich die damals in den katholischen Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie ausgeubte physische, psychische und sexuelle Gewalt zutiefst bedauere und die Betroffenen dafur um Entschuldigung bitte. Kirchliche Organisationen und Verantwortliche haben in diesen Fallen dem christlichen Auftrag, Menschen mit Behinderung und psychiatrisch Erkrankten in ihrer Entwicklung zu fordern und ihre Wurde zu schutzen, nicht entsprochen."

Der Prasident des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher, betont: "Die Geschichte des Leids in Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie ist ein beschamender Teil der Geschichte der Kirche und ihrer Caritas in Deutschland. Wir stellen uns den Erfahrungen von Versagen und Leid und sehen diese Geschichte als Verpflichtung. Der Deutsche Caritasverband und sein Fachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie werden alles dafur tun, aus den bedruckenden Befunden der Studie Konsequenzen fur ihre fachliche und politische Arbeit zu ziehen."

Der Geschaftsfuhrer der Caritaskommission der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Stucker-Bruning, begru?t es, dass Bund und Lander sich vor einer Woche zur Stiftung "Anerkennung und Hilfe" bekannt haben. "Die Kirchen mit Caritas und Diakonie sowie die Orden haben dieses Hilfsangebot fur Betroffene aus Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie schon lange gefordert. Betroffene konnen durch die Stiftung wirksame Unterstutzung zur Bewaltigung ihrer teilweise schlimmen Erlebnisse erhalten. Damit moglichst viele von ihnen die Hilfen in Anspruch nehmen konnen, sollte die Stiftung zugig ihre Arbeit aufnehmen."

Sr. Katharina Kluitmann OSF, Mitglied im Vorstand der Deutschen Ordensobernkonferenz, stellt fest: "Fur das personliche Versagen von Ordensleuten und das institutionelle Versagen von Orden in der damaligen Zeit konnen wir nur beschamt stellvertretend um Verzeihung bitten. Wo immer moglich, mochten wir denen, die heute noch an ihrer Geschichte als Kinder und Jugendliche in Heimen der Behindertenhilfe und Psychiatrie leiden, bei der Aufarbeitung helfen. Wir mochten uns diesen dunklen Seiten unserer Geschichte stellen."

Die Projektleiterin der Heimkinderstudie, Annerose Siebert, macht deutlich: "Die historisch-sozialwissenschaftliche Studie gibt erstmals einen Uberblick im gro?eren Rahmen uber die Situation von Madchen und Jungen mit Behinderung, die in dieser Zeit in katholischen Einrichtungen gelebt haben. Zentral ist dabei die wissenschaftlich aufbereitete Perspektive der Betroffenen. Sie kommen umfanglich zu Wort. Die Studie ist keine Gewaltstudie, das ware zu kurz gegriffen - sie beschreibt neben Gewalterfahrungen in erster Linie Alltag, institutionelle Rahmenbedingungen und soziale Netzwerke - aber der Alltag war klar durchzogen von Unterordnung, Isolation und Gewalt."

In der Zeit von 1949 bis 1975 lebten nach Schatzungen 30.000 bis 50.000 Kinder und Jugendliche mit Behinderung oder psychischen Erkrankungen in katholischen Heimen. Von den heute etwa 500 Einrichtungen, die Mitglied des CBP sind, wurden 110 vor 1975 gegrundet. Als potenzielle Teilnehmer an der Studie wurden im Kontakt mit den Einrichtungen 2.641 Personen identifiziert. Rund 80 Prozent konnten aufgrund eines erhohten Hilfebedarfs bzw. kognitiver Einschrankungen nicht befragt werden. Befragt wurden 339 Personen, die heute im Durchschnitt 65 Jahre alt sind.

 

 

 

 

 




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