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Nicht Hinter Ethik-richtlinien Verstecken!

NDR
July 1, 2016

http://www.ndr.de/info/sendungen/kommentare/Nicht-hinter-Ethikrichtlinien-verstecken,missbrauchsstudie102.html

[Do not hide behind Ethics!]

Zwei Jahre nach dem Start des Forschungsprojekts zum Missbrauch in der katholischen Kirche haben die leitenden Wissenschaftler erste Zwischenergebnisse vorgelegt. Aus einer Analyse bereits vorhandener Studien haben sie Aussagen zu Tater- und Opferstruktur gewonnen. Demnachst wollen die Forscher auch entsprechende Akten aus den Bistumsarchiven auswerten. Aber liegt die Wahrheit uber das Ausma? des Missbrauchsskandals in den Archiven?

Florian Breitmeier meint, dass eine prazise Aufarbeitung der Vorfalle und Vorwurfe alternativlos ist.

Der Nebel lichtet sich nur langsam, doch erste Zahlen werden sichtbar. Der Zwischenbericht zeigt, dass im katholischen Bereich auffallig viele Betroffene sexualisierter Gewalt mannlich sind - rund 80 Prozent. Die Forscher haben hier zweifelsfrei ein Spezifikum entdeckt. Denn in anderen Institutionen wie zum Beispiel Sportvereinen oder staatlichen Schulen suchen sich die Tater mehrheitlich weibliche Opfer.

Warum aber vergehen sich katholische Geistliche mehrheitlich an Jungen? Liegt es daran, dass es bis weit in die 1970er-Jahre hinein kaum Messdienerinnen gab? Warum wird das Thema Homosexualitat tabuisiert? Welchen Aspekt spielt die kritische Auseinandersetzung mit der sexuellen Reife in der Priesterausbildung? Fragen uber Fragen, die die Forscher noch beantworten mussen.

Forscher stochern im Nebel

Bislang stochern sie im Nebel. Der Zwischenbericht belegt, dass etwa ein Drittel aller Taten schwere Sexualverbrechen sind. Es geht also nicht nur um herzliche Umarmungen, schuchterne Wangenkusse, zufallige Beruhrungen. Als haufigstes Tatermerkmal nennt der Bericht dabei eine emotional-sexuelle Unreife. Als zweithaufigsten Wesenszug macht die Studie eine Personlichkeitsstorung des Taters aus, gefolgt von Merkmalen der Padophilie.

Im Jahr 2012 hatte es in einer von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen Analyse entsprechender forensischer Gutachten gehei?en, dass weniger als funf Prozent der beschuldigten Geistlichen die Diagnosekriterien einer Padophilie erfullten. In dem nun vorgelegten Zwischenbericht macht dieser Prozentsatz unter Tatern rund 18 Prozent aus.

Ist eine unabhangige Forschung moglich?

Neue Erkenntnisse erhoffen sich die Wissenschaftler auch von der Auswertung entsprechender Strafprozessakten der Staatsanwaltschaft sowie handverlesener Personalakten aus den Bistumsarchiven. Direkten Zugang zu den Akten haben die Wissenschaftler allerdings nicht. Hier liegt eine Schwachstelle des Projekts, weil die Unabhangigkeit der Forschung betroffen sein konnte. Vielleicht glauben die Forscher aber auch nicht daran, dass die vollstandige Wahrheit in den Bistumsarchiven zu finden ist.

Wo es geboten ist: Namen nennen!

Dann liegt es an mutigen Betroffenen die Wahrheit ans Licht zu bringen. Eine anonyme Online-Umfrage des Mannheimer Zentralinstituts fur seelische Gesundheit soll dabei helfen. Bislang ist nicht vorgesehen, dass die Forscher bei erwiesenen Fallen sexualisierter Gewalt oder bei Vertuschung auch konkrete Taternamen nennen. Die Forscher begrunden dies mit eigenen Ethikrichtlinien. Im Sinne der viel beschworenen Transparenz und Glaubwurdigkeit sollte hier aber unbedingt gehandelt, sprich Namen genannt werden.

Es ist vollkommen klar, dass es hierbei nicht um die Verbreitung halbgarer Geruchte gehen kann. Dort aber wo womoglich Kardinale, Bischofe oder Generalvikare Tater nachweislich geschutzt, Ubergriffe vertuscht und eine umfassende Aufarbeitung behindert haben, da gibt es ein berechtigtes Interesse der Offentlichkeit, eventuelle Widerspruche zwischen Amt, offiziellen Verkundigungen und Taten zu erfahren. In diesen begrundeten Fallen konnen sich kirchliche Vorgesetzte nicht auf das Personlichkeitsrecht und damit auf die Privatsphare beziehen. Denn ihre Entscheidungen trafen sie oder ihre Vorganger unzweifelhaft in einem berufsbezogenen Kontext.

Abwagen zwischen Opfer- und Taterschutz

Die Forscher sollten sich deshalb nicht hinter eigenen Ethik-Richtlinien verstecken und Bischofe an schonungsloser Klarheit interessiert sein. Oft genug wurden Missbrauchstater im kirchlichen Bereich in Nacht- und Nebelaktionen einfach versetzt. Manch ein Bischof wollte nie ganz genau erfahren, warum ein Priester ein anderes Bistum verlie? oder dieser nicht mehr mit Kindern und Jugendlichen arbeiten sollte.

Kurzum: Wer prazise aufarbeitet, sollte erklaren konnen, wer wo wie warum handelte oder eben nicht. Die Betroffenen haben ein Recht darauf, dass sie mit der Vergangenheit nicht allein im Nebel stehen gelassen werden. Auf der Suche nach der Wahrheit stellt sich eine ganz einfache Frage: Was ist wichtiger: Taterschutz oder Opferschutz?

 

 

 

 

 




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