BishopAccountability.org

Die Verfehlungen des Monsignore Mai

By Robert Werner
Regensburg Digital
August 23, 2016

http://www.regensburg-digital.de/die-verfehlungen-des-monsignore-mai/23082016/

2014 wurde Paul Mai (re.) von Bischof Voderholzer in allen Ehren und mit viel Lob bedacht in den Ruhestand verabschiedet. Zöglinge Mais im Knabenseminar beschreiben ihn als sadistischen Schläger.

Das Knabenseminar Obermünster um 1930.

Legte einen umfassenden Zwischenbericht vor, durfte aber nicht interviewt werden: Angelika Glaß-Hofmann.


Paul Mai 1985 als Zeuge vor Gericht.
Photo by Horst Hanske

Abseits von den Domspatzen spielen die Übergriffe in anderen Einrichtungen der Diözese Regensburg offiziell keine Rolle. Doch tatsächlich lässt das Bischöfliche Ordinariat seit Jahren wegen körperverletzender Übergriffe in Bischöflichen Knabenseminaren recherchieren. Einer der Täter soll der hoch angesehene Prälat Paul Mai sein. Betroffene schildern ihn als hemmungslosen Schläger.

Obwohl sich seit Frühjahr 2010 viele körperlich misshandelte ehemalige Zöglinge diverser Einrichtungen des Bistums Regensburg beim Ordinariat meldeten, blieben sie lange gänzlich unbeachtet. Das Leid, das sie erfahren haben und die oftmals lebenslangen Folgen von körperverletzenden Strafen und sadistischen Übergriffen wurden schnell als bedauerliche Vorfälle, aber zeitbedingte Erscheinungen abgetan. Anfangs sprach man von „pädagogischen Übergriffen“.

Ein Einlenken kam spät. Erst nach dem SWR-Film „Sünden an den Sängerknaben“, der landesweit Entsetzen hervorrief, revidierte das bischöfliche Ordinariat im Februar 2015 seine Haltung und fand neben dem Leid der sexuell Missbrauchten auch das der körperlich Misshandelten anerkennenswert. 2.500 Euro als finanzielle Anerkennungsgeste wurden in Aussicht gestellt und, soweit bekannt, in aller Regel auch bewilligt. Allerdings nicht den Betroffenen aller kirchlichen Einrichtungen.

Knabenseminaristen werden benachteiligt

Nur der ehemaligen Domspatzen, die der Bischof „zu seinen wichtigsten Mitarbeitern zählt“ und die angeblich „Eifersucht und Neid“ auf sich ziehen, erbarmte sich Voderholzer. Nur für sie ließ er in der Folge die 2.500 Euro-Geste bereitstellen und einen aufklärenden Rechtsanwalt beauftragen. 

Misshandelte und missbrauchte Zöglinge der Bischöflichen Knabenseminare hingegen blieben bis heute außen vor. Dies ist bemerkenswert, da die Anzahl der Schüler dieser Einrichtungen die der „Domspatzen“ zahlenmäßig lange Zeit um ein Vielfaches überragte und so mancher Domspatzen-Täter auch in Knabenseminaren übergriffig wurde.

Bistum ist seit fünf Jahren mit den Übergriffen befasst

Nicht zuletzt, weil Betroffene aus Knabenseminaren keinen öffentlichen Druck erreichen konnten oder wollten und die Vorfälle in den bischöflichen Einrichtungen bislang (fast) keine mediale Aufmerksamkeit erlangten, präsentiert sich das Ordinariat allein hinsichtlich der Missstände bei den „Domspatzen“ öffentlich als reumütig und einsichtig.

Aktuelle Recherchen von regensburg-digital haben nun ergeben, dass das Bischöfliche Ordinariat seit nahezu fünf Jahren mit konkreten Gewaltexzessen im Knabenseminar Obermünster beschäftigt ist. Von sexuellen Übergriffen im Seminar ist bislang – abgesehen von Andeutungen und Vermutungen – nichts bekannt. Bei einem noch lebenden Täter handelt es sich offenbar um einen prominenten und hochdekorierten Geistlichen, den man offenbar schützen will.

regensburg-digital hat Zugang zu entsprechenden schriftlichen Unterlagen bekommen, mit mehreren Betroffenen und dem Hauptbeschuldigten gesprochen. Eine Anfrage unserer Redaktion bei der Diözese wurde von der Pressestelle ignoriert.

„Paul Mai war ja nur einer der Peiniger, wenn auch der hemmungsloseste.“

Wer sich mit Zöglingen des Bischöflichen Knabenseminars Obermünster der 1960er Jahre auseinandersetzt, dem schlägt zunächst geballter Zorn oder lang angestaute Wut entgegen. Er könne es nicht anders sagen, meint ein Ehemaliger: der damalige Präfekt Paul Mai sei seiner Ansicht nach „ein sadistisches A********“ gewesen.

Mai, von 1963 bis 1967 geistlicher Präfekt im Obermünsterseminar, habe seine Launen an Schülern mit Prügeln ausgelassen. Er habe zum Teil ohne ersichtlichen Grund und völlig überzogen, trotz ausdrücklichen Verbots durch den Seminarleiter, zugeschlagen und gequält. Bei der zweiwöchentlich stattfindenden Gemeinschaftsdusche habe er zum Abschluss das warme Wasser gänzlich abgedreht und den Zöglingen „zur Abhärtung“ kaltes verpasst.

Diese gefürchtete Behandlung habe auch minutenlang andauern können, einige „haben schon gezittert“. Mai habe seinen sadistischen Spaß daran gehabt. Ebenso daran, Zöglinge zum Verzehr von Haferschleimsuppe zu zwingen, obwohl sie ihre starke Abneigung und Unverträglichkeit artikuliert hätten. Die Zwangsverköstigung habe dann mit einer großen, über den Esstisch verteilten Lache Kotze geendet. So berichtet es ein Ehemaliger, der ungenannt bleiben möchte.

„Wer zuckte, wurde erneut geschlagen.“

Mai, ein promovierter Historiker, habe von ihm selbst taxierte Prügelstrafen regelrecht „exekutiert“. Zum Vollzug wurden Schüler im oder vorm Studiersaal aufgerufen, das Strafmaß wurde verkündet und dann zugeschlagen. Wer zuckte, habe eine Wiederholung ertragen müssen. Die Prügelstrafe galt für Mai erst als abgegolten, wenn der Zögling die Schläge ins Gesicht ohne eine Regung und ohne jegliche Abwehr über sich habe ergehen lassen. Wehe dem, der dies nicht konnte.

Solche zerstörerischen Züchtigungs- und Unterwerfungsrituale, die von Priestern unter Berufung auf einen christlich verbrämten Erziehungsstil vollzogen wurden, sind (nicht nur) in Regensburg hinlänglich bekannt. Ehemalige aus der Domspatzen-Vorschule Etterzhausen unter dem Direktor Johann Meier haben solche Exekutionen vielfach geschildert.

Zu Boden geschlagen und gestiefelt

Der ehemalige Obermünsterzögling Gottfried A., ein Schulleiter in Ruhestand (Name der Redaktion bekannt), erzählt mit aufgebrachtem Unterton von einem Vorfall, der „ihn ein Leben lang begleitet“ habe.

Als er und sein Schulkamerad Konrad R. aus der sechsten Klasse den nachmittäglichen Spaziergang innerhalb der Mauern des Obermünster-Seminars eine Runde zu früh und eigenmächtig beendet hätten, seien sie denunziert worden. Von einem Oberstufenschüler, der sie beim Spaziergehen begleitete und den Regelverstoß beim damaligen Präfekten Paul Mai meldete. Mai verkündete daraufhin die von ihm bestimmte Strafe und lies zur Exekution antreten.

Während A. die Ohrfeigen ungerecht empfand, aber regungslos hinnahm, zuckte Konrad. Der Präfekt im Priestergewand wiederholte die Schläge und Konrad zuckte erneut. Die Schläge wurden heftiger, das Zucken und Abwehren ebenso. Nach der dritten oder vierten Wiederholung sei Konrad in die Hocke gesunken und habe versucht, sich mit seinen Händen zu schützen. Mai, mittlerweile mit rotem Kopf in Rage und verrutschtem Priesterkleid, habe dies als respektlose Aufsässigkeit begriffen und umso stärker zugeschlagen. „Links, rechts!“

Als Konrad R. endlich zu Boden ging, habe ihn der geistliche Präfekt Mai noch mit seinen ungeputzten Schuhen brutal auf ihn eingetreten. „Dieser Vorfall hat mich seitdem begleitet“, sagt A. im Gespräch. Unzähligen Kollegen habe er davon erzählt, den Ablauf und viele Einzelheiten noch deutlich vor Augen.

„Gehirnwäsche im Knabenseminar“

Konrad R., der seinen vollständigen Namen nicht genannt haben will, ist seitdem traumatisiert. Seinen Eltern habe Paul Mai später gesagt, er sei „deshalb besonders streng zu dem Zögling, weil er viel von ihm halte und ihm deshalb eine besonders gründliche Erziehung angedeihen lassen wolle“.

Die Folgen dieser „besonders gründlichen Erziehung“: Konrad R. verfolgen seit seiner Seminarzeit in Obermünster Angstzustände und Panikattacken. Allein die Anreise nach Regensburg quält ihn immer noch. Der Stadtbesuch ruft Erinnerungen an die Tortur im Obermünsterseminar wach und im Gespräch treten die seelischen Narben und vielfältigen Einschränkungen zutage, die ihn seither begleiten.

Sein jahrzehntelanger Versuch, mit den Vorfällen und der systematischen Gewalt zurechtzukommen, führte trotz psychotherapeutischer Behandlung zu einem völligen Zusammenbruch Anfang der 2010er Jahre. Im Dezember 2011 meldete sich Herr M. erstmals bei der Psychologin und Eheberaterin Glaß-Hofmann, die beim Bistum abhängig beschäftigt und für die Aufarbeitung von Körperverletzungsdelikten zuständig ist. Im März des folgenden Jahres wurde ein Gesprächsprotokoll angelegt, in dem Konrad R. sein Leid schildert.

Heute will Konrad R., dass Paul Mai öffentlich zur Rechenschaft gezogen wird und der verschleppende, verdeckende und verheimlichende Umgang mit den Übergriffen im Obermünsterseminar endlich ein Ende hat. Ebenso wichtig ist ihm, dass die religiöse Erziehung im katholischen Knabenseminar öffentlich thematisiert wird. „Gehirnwäsche“ nennt der 65jährige diese religiös überhöhten und höllenangstmachenden Praktiken: der Zwang zum Beten, zum Beichten, zum Büßen, zum Fasten, zum Stillsein, zum Unterordnen, zum Singen, zum Schuld- und Sündigfühlen, der Zwang zur Verachtung jedweder Körperlichkeit.

Versöhnen mit Überzeugungstätern

Wie viele Traumatisierte fürchtet auch Konrad R., dass dem Täter und dessen Umkreis geglaubt wird und nicht ihm. Dass er als Lügner da steht. Erst nachdem er seine Leidensgeschichte bei der Bistums-Psychologin Glaß-Hofmann wiederholt vorgetragen und Konsequenzen eingefordert hatte, recherchierte sie bei mehreren Schulkameraden und dem damaligen Seminardirektor Johann Staufer.

Das Ziel der Psychologin: Sie will vermitteln, eine Verständigung und möglichst einen Ausgleich zwischen den Parteien herstellen und so die psychische Not lindern. Während dieser Zeit hatte Konrad R. den Eindruck, dass die Bistumsbeauftrage versuchte, ihn wieder„ los zu werden“: Im Bistum gehe „immer noch Täterschutz vor Opferschutz“.

Mai zieht die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens nicht in Zweifel

Im Juli 2013 wurde Paul Mai dann erstmals in einem Gespräch von Glaß-Hofmann und zwei Vertretern des Bistums mit den Schilderungen von Konrad R. konfrontiert. Mai räumte dabei zwar ein, er habe als Präfekt bei Fehlverhalten die damals üblichen Ohrfeigen verteilt, könne sich aber an Details nicht mehr erinnern. Im Übrigen habe er die „Rechtmäßigkeit und Angemessenheit“ seines Verhalten „nicht in Zweifel gezogen“. Er legitimierte seine Prügelstrafen damit, dass er solche selber „in der eigenen Seminaristenzeit erduldet“ habe. So die Zusammenfassung von Glaß-Hofmann.

Dies erscheint glaubhaft. Glaubhaft für einen Überzeugungstäter, der nicht von seinen Regeln und der Lehre abgewichen ist, in der „die körperliche Züchtigung der Kinder religiös legitimiert, wenn nicht sogar empfohlen wurde bzw. wird.“ So das Resultat des Pädagogen Max Liedtke, der die Übergriffe im Windsbacher Knabenchor untersuchte. 

Die kirchlich geprägte Schul- und Erziehungsgeschichte sei durch alle Epochen hindurch gekennzeichnet „von Strafandrohung, von körperlicher Züchtigung und Angst“, so Max Liedtke weiter. Die Notwendigkeit der körperlichen Züchtigung werde damit begründet, dass der Mensch von Natur aus nicht gut, sondern verdorben sei. Erziehen heiße:

„Ausrotten, Ertöten, nämlich des Herzens böse Lust und an ihrer Statt eine neue heilige Kraft in demselben schaffen, einen neuen gewissen Geist ihm mitteilen, der nicht anders kann als gute Früchte bringen“.

Versöhnung ohne Reue und ohne Aufarbeitung?

Mitte November 2013 schließt Glaß-Hofmann die Akte Mai ohne weitere Konsequenzen und schreibt Konrad R. im Abschlussbericht die Schuld für das Scheitern ihrer Vorgehensweise zu. Ein Brief von Konrad R. an Mai von Anfang 2013, in dem er seinem Peiniger „keine frohe Minute mehr“ wünscht und, dass ihn sein „Gewissen nicht mehr in Ruhe“ lasse, habe ihr „Bemühen zunichte gemacht“. Verhindert, „dass Dr. Mai sich jetzt noch emotional und inhaltlich auf das, was Sie berichten, einlassen konnte und wollte.“

Glaß-Hofmann bezeichnet sich als Ansprechpartnerin für von Opfer von Körperverletzung. Offenbar verfolgt sie aber Ausgleichsmodelle, die vornehmlich am Wohl des Täters und dem Schutz der Diözese orientiert sind. Scheitern diese, tritt sie mit völlig inakzeptablen und unprofessionellen Schuldzuweisungen gegenüber dem Betroffenen auf. Ein weiter Obermünsterzögling, der Mittsechziger sei Michael B. genannt, bestätigte diesen Eindruck im Gespräch.

Die Betroffenengruppe www.intern-at.de übt ebenso schärfste Kritik an dem Vorgehen der Psychologin und beanstandet die Strategie des Bistums Regensburg in Sachen Übergriffe bei den Domspatzen mit deutlichen Worten: „Verschweigen, bis es nicht mehr anders geht.“

Glaß-Hofmann habe Berichte über umfangreiche Prügelszenarien im Regensburger Domspatzeninternat verschwiegen, um die Diskussion auf die Vorschule in Etterzhausen/ Pielenhofen zu begrenzen. So die Kritik von 2015, die im Kern auch auf den Umgang des Ordinariats mit den Übergriffen im Obermünsterseminar zutrifft.

Das Vorgehen des Bistums: „Es schreit zum Himmel“

Ende 2013 protestierte Konrad R. bei der Bistums-Psychologin Glaß-Hofmann wütend gegen den Abschlussbericht, gegen das interne Verfahren, bei dem „nach außen hin nichts dringt“ und dessen Vorgehensweise zum Himmel schreie. In der Folge ermittelte der vom Bistum seit März 2010 beauftragte Rechtsanwalt Dr. Andreas Scheulen in der Sache weiter.

Scheulen sprach daraufhin mit ehemaligen Seminaristen aus dem Obermünster. Auch der bereits erwähnte Obermünsterzögling Michael B., der nach drei Jahren das Seminar verlassen durfte und dies als Befreiung erlebte, erlitt und schilderte Rechtsanwalt Scheulen sadistische Übergriffe durch Paul Mai. Den Umgang mit Konrad R. findet B. skandalös. Und: „Eine persönliche Aussprache mit dieser Dreck*** Paul Mai wäre wohl das letzte“, was er anstrebe.

Die Schilderungen von Konrad R. wurden von mehreren Ehemaligen bestätigt und ergänzt. Deshalb geht man – dem Vernehmen nach – im Ordinariat aufgrund Scheulens Recherchen davon aus, das Paul Mai zu den körperverletzenden Tätern zu rechnen ist. Ende 2015 wurde Konrad R. schließlich über Rechtsanwalt Scheulen eine Anerkennungsleistung von 2.500 Euro in Aussicht gestellt. Mündlich. Aber erst, wenn die Aufarbeitung der Übergriffe bei den Domspatzen erledigt sei. „Inzwischen bin ich überzeugt, dass man mich auf den St. Nimmerleinstag vertrösten möchte“, so Konrad R. im Gespräch.

Alles Züchtiger?

Paul Mai hingegen versuchte gegenüber regensburg-digital die körperliche Züchtigung erneut zu rechtfertigen. Das „heutige Theater darum“ verstehe er nicht, es mache ihn „fuchtig“. Für ihn als Internatszögling sei es normal gewesen, „dass du eine Watschen gekriegt hast. Normal, dass du sie gekriegt hast und später als Erzieher ausgeteilt hast“. In Internaten hätten damals alle so gehandelt. Eine Diskussion mit Leuten, „die dafür kein Verständnis haben“, sei „witzlos“. Mai – „ich bin von Haus aus Historiker“ – meint, dass man mit heutigen Vorstellungen „nicht an früher rangehen“ könne.

Alle waren Schläger? Nein. Weder haben alle Präfekten ihre Zöglinge abgewatscht, geschweige denn zu Boden geprügelt, noch war es erlaubt. Die Züchtigung an bayerischen Gymnasien ist seit „dem Jahr 1903 unzulässig“. Darüber hinaus gab der damalige Direktor des Obermünsterseminars, Johann Staufer, gegenüber der Bistums-Psychologin Glaß-Hofmann 2013 an, dass er den Präfekten seinerzeit von Beginn an ganz klar die „körperliche Züchtigung“ der Zöglinge untersagt habe. Nicht alle hätten sich daran gehalten, manche habe er zur Rede stellen müssen.

Entschuldigt hat sich – soweit bekannt – Paul Mai gegenüber Konrad R. oder anderen Betroffenen nicht. Ob, wie 2010 pauschal für lebende Täter angekündigt, ein kirchenrechtliches Verfahren gegen Mai eingeleitet wurde, konnte mangels Auskunft der Pressestelle nicht geklärt werden. 

Doch wo wurde der Zögling Paul Mai gezüchtigt und Opfer schwarzer Pädagogik?

Vom Opfer zum Täter

Ende 1945 kam der zehnjährige Paul Mai aus dem einstigen Breslau nach Bayern. Er wollte Priester werden und besuchte dazu in Straubing das Humanistische Gymnasium und das Bischöfliche Knabenseminar, das zur Diözese Regensburg gehörte. Die letzten Jahre vor seinem Abitur (1954) in Straubing war Mai dem pädosexuellen Mehrfachtäter Georg Zimmermann ausgesetzt. Zimmermann, selber Obermünsterzögling und ein Jahr nach seiner Priesterweihe (1950) Präfekt im Straubinger Seminar, galt als cholerisch und gewalttätig.

Auf Nachfrage bestätigte Mai gegenüber regensburg-digital dessen Prügelstrafen: Ja, freilich habe der Zimmermann Schorsch „auch zugehauen. Und sogar kräftig.“ Von sexuellen Übergriffen im Straubinger Seminar der 1950er Jahre, die unter vorgehaltener Hand von ehemaligen Seminarzöglingen erzählt werden, will Mai nichts wissen.

Georg Zimmermann wurde von Bischof Buchberger bis zuletzt protegiert und war eigentlich als Nachfolger von Domkapellmeister Theobald Schrems auserkoren. Hierzu wurde er zunächst zum 1. Januar 1959 als Direktor der Internate der Dompräbende und des Domgymnasiums nach Regensburg geholt. Es kam jedoch anders: nach wiederholtem sexuellen Missbrauch von Schülern wurde Zimmermann untragbar und nach nur neun Monaten Dienstzeit schob man ihn in ein holländisches Klosterinternat ab.

Sklavenhalter Mai in Jagdlaune Paul Mai gilt ihn Regensburg als schillernde Figur, mit der sich die Justizbehörden mehrfach beschäftigen mussten. Nach seiner Tätigkeit als Präfekt im Knabenseminar übertrug man ihm die Leitung des Diözesanmuseums, 1971 wurde er Direktor des Archivs und der Zentralbibliothek der Diözese.

Als nach einer Reihe von Diebstählen aus dem Museum der von Mai angestellte Hausmeister wegen schweren Raubs zu einer 30monatigen Haftstrafe verurteilt wurde, entzog man Mai Mitte der 1980er die Museumsleitung wieder.

Der Verurteilte rechtfertigte seine eingestandenen Taten damit, dass Mai ihn wie einen Sklaven behandelt und schikanierte habe. Dergleichen räumte Mai zwar ein, will dies aber laut einem Pressebericht („Ich war Sklave des Monsignore“ von Helmut Wanner in DIE WOCHE vom 3. April 1985) „zumindest nicht bewußt“ getan haben.

In einem aufsehenerregenden Prozess einige Jahre zuvor war der Archivdirektor Mai angeklagt, auf jugendliche Discobesucher mit einem Gewehr geschossen zu haben. Mais Dienstwohnung lag seinerzeit direkt über dem Eingang der Diskothek Tangente und da es ihm auf der Straße zu laut war, habe er „in Jagdlaune und bezecht“ Richtung Ruhestörer geschossen, so DIE WOCHE. Der bereits erwähnte Hausmeister musste laut dem Zeitungsbericht „den Hof zusammenkehren um die Spuren zu verwischen.“

Angeblich kam Paul Mai nur mit der Zeugenaussage seines Spezls und Mitbruders aus dem Deutschen Orden, Karl-Heinz Götz, davon. Er wurde nicht verurteilt, obwohl nachweislich aus seinem Gewehr abgefeuert worden war. So weiß es jedenfalls DIE WOCHE vom 27. Dezember 1985 zu berichten.

Hochgeachtet bis heute: Prälat Paul Mai

Im katholischen Regensburg wird Msgr. Paul Mai dennoch hoch verehrt. Er gilt als überaus arbeitsam und ist seit Jahrzehnten in vielen kirchlichen Vereinen, wissenschaftlichen Gremien, im Deutschen Orden, in katholischen Studentenverbindungen, im Historischen Verein Regenburg usw. aktiv. 

Als Direktor des Diözesanarchivs war Mai zuständig für Anfragen zum Serientäter Georg Zimmermann. Eine Anfrage von regensburg-digital wurde seinerzeit mit der Übersendung eines salbungsvollen Nachrufs auf Zimmermann (gest. 1984) aus dem Bistumsblatt erledigt.

Als Historiker hat Mai auch die Geschichte der Bischöflichen Knabenseminare in Obermünster (1982) und Straubing (1985) bearbeitet. Prügelstrafen und Körperverletzung gegen Zöglinge kommen in seinen Abhandlungen freilich nicht vor. Geschweige denn, dass er die systematische körperliche Züchtigung im Knabenseminar historisch untersucht hätte. In seinem Aufsatz von 1985 betont Mai vielmehr die Verpflichtung der Seminare, „junge Menschen zu erziehen, die brauchbar sind, brauchbar im Leben für die Gesellschaft, für die Kirche, daß sie dienen können, dienen ihren Mitmenschen, ob sie das als Priester oder Laien tun.“

Mais Verfehlungen werden ausgeblendet und glatt gebügelt

Bereits einen Tag nachdem Bischof Voderholzer persönlich den fast 80jährigen Archivdirektor im Oktober 2014 in Ruhestand verabschiedet hatte, wurde Mai als Kanonikus in das Kollegiatstift St. Johann Baptist aufgenommen. In einem MZ-Bericht, eine Art gefällige Homestory, über seine Zeit als Archivleiter und seine Installation als Stiftsherr wurde auch der Vorfall mit den Discobesuchern erwähnt. Allerdings spricht der MZ-Autor nun nicht mehr von Schüssen auf Jugendliche, sondern von „Widerstand gegen nächtliche Ruhestörer“ („In seinem Reich“, von Helmut Wanner in der MZ vom 26. Dezember 2014).

Als Kanonikus und Prügelstrafender ist Paul Mai im Stiftskapitel unter Gleichgesinnten wohl versorgt. Dass sein Mitkanonikus, der ehemalige Domkapellmeister Georg Ratzinger, seine Zöglinge eigenen Angaben zufolge „aus Frust“ geschlagen haben will, verwundert Mai. Was Ratzinger gemacht habe, sei „sein Problem“. „Aus Frust“ zu schlagen, sei jedoch unbegründet, also „grundlos“. Darauf beharrt Mai im Gespräch.

Von einer Untersuchung des Ordinariats gegen ihn wegen seiner gewalttätigen Übergriffe als Präfekt im Obermünster will er nichts wissen: „Wen soll ich denn da zusammengeschlagen haben“? Den Familiennamen des zu Boden geprügelten und getretenen Konrad R. erkennt Paul Mai allerdings sofort wieder. Er hat sogar dessen Vornamen sogleich parat: „Konrad, den kenn ich schon.“

Sein Gewissen scheint Paul Mai nicht mehr in Ruhe zu lassen.

Zum historischen Hintergrund

Die Bischöflichen Knabenseminare gehen auf einen Konzilsbeschluss des 16.Jahrhunderts zurück. Demnach sollte jede Diözese für die Sicherung von Priesternachwuchs neben Priesterseminaren auch Knabenseminare aufbauen. Das Bistum Regensburg setzte diesen Beschluss erst 1844 mit der Errichtung eines Seminars im Kloster Metten um. Im Jahre 1882 wurden in Regensburg, 1885 in Straubing und 1955 in Weiden weitere eröffnet. Bis in die 1960er Jahre hatten jedes der Bischöflichen Knabenseminare weit über 200 Zöglinge und somit mindestens so viele wie das Domspatzen-Internat. Bis 1982 durchliefen allein das Obermünsterseminar etwa 2.200 Zöglinge, etwa 600 davon wurden in der Folge angeblich Priester.

Die Knaben lebten weitestgehend von der städtischen Umgebung abgeschottet und besuchten in Regensburg das Albertus-Magnus-Gymnasium. Der Seminarist sollte „täglich dem heiligen Meßopfer beiwohnen, häufig die heiligen Sakramente empfangen, Wirtshausbesuch und unpassenden Verkehr, besonders mit Frauenpersonen“ oder Gemeinschaftsbadeanstalten vermeiden, da diese „eine Gefahr für seinen Beruf bedeuten“.

Bis Mitte der 1960er Jahre mussten Fünftklässler beim Eintritt ins Seminar in einer Weiheformel geloben: „Führe mich ins heilige Priestertum!“ Nach dem II. Vatikanischen Konzil wurde von den Zöglingen ab Mitte der 1960er Jahre keine ausdrückliche Formulierung des Priesterwunsches mehr verlangt. Die Zöglinge sollten nun „durch intensive religiöse Formung und vor allem durch geeignete geistliche Erziehung“ auf die Nachfolge Christi vorbereitet werden. Die Leitungs- und Präfektenstellen der Seminare waren Geistlichen vorbehalten. Laut dem Bayerischen Konkordat von 1924 muss der Freistaat Bayern unter anderem die Personalkosten für die Seminarvorstandschaft tragen. Der Ertrag der Brauerei Bischofshof floss ebenso in die Knabenseminare.

Im Laufe der Zeit wurden alle Knabenseminare der Regensburger Diözese aufwändig erweitert und modernisiert, allerdings in den 1990ern dann mangels Nachfrage geschlossen.




.


Any original material on these pages is copyright © BishopAccountability.org 2004. Reproduce freely with attribution.