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Sexueller Missbrauch in Hamburger Kinderheim

Welt
October 26, 2016

https://www.welt.de/regionales/hamburg/article159031897/Sexueller-Missbrauch-in-Hamburger-Kinderheim.html

[Sexual abuse has been reported at the Protestant orphanage in Harburg.]

Mitte der 80er-Jahre sollen in einem evangelischen Hamburger Kinderheim mehrere Kinder sexuell missbraucht worden sein. Ans Licht brachten dies die Aussagen zweier ehemaliger Bewohnerinnen.
Von Denis Fengler, Jana Werner | Stand: 25.10.2016 | Lesedauer: 4 Minuten

Mit dem Wissen von Erziehern und anderen Verantwortlichen sollen Kinder und Jugendliche Anfang der 1980er-Jahre in einem kirchlichen Kinderheim in Harburg möglicherweise über Jahre von älteren Mitbewohnern sexuell missbraucht worden sein. Diese Vorwürfe haben zwei ehemalige Bewohnerinnen des Margaretenhorts erhoben. Der Kirchenkreis Hamburg-Ost, Träger der Einrichtung, der die Missbrauchsvorwürfe am gestrigen Dienstag öffentlich machte, will Betroffenen umfangreiche Hilfe bieten. „Uns ist es ernst mit der Aufarbeitung“, sagt Kirchenkreis-Sprecher Remmer Koch.

In einem seelsorgerischen Gespräch sollen sich die beiden Augenzeuginnen bereits im Mai einer Vertrauensperson des Margaretenhortes geöffnet haben, hieß es. Diese Vertrauensperson habe dann den Kirchenkreis informiert. Was die beiden Frauen berichteten, reiht sich ein in die Liste an Misshandlungen, die Kinder bis weit in die 90er-Jahre hinein in deutschen Kinderheimen erdulden mussten. Demnach seien mehrere Mädchen und Jungen von älteren Jugendlichen über eine längere Zeit missbraucht worden. Kirchenkreis-Sprecher Koch: „Verantwortliche wussten Bescheid, ohne den Opfern Schutz geboten oder den Missbrauch unterbunden zu haben.“ Die Frauen, die den Fall ins Rollen brachten, seien selbst nicht betroffen gewesen, erklärte Pröpstin Ulrike Murmann. Ihre Aussagen seien dennoch glaubwürdig und plausibel.

„Wir stehen noch am Anfang“

Wie viele Kinder und Jugendliche Opfer wurden, ist ebenso unklar wie die Antwort auf die Frage, wie lange das Martyrium der Opfer gedauert hatte. „Wir stehen noch am Anfang“, sagte Sprecher Koch. Bislang habe sich kein Betroffener gemeldet. Aktuell sei nicht einmal bekannt, wer Anfang der 1980er-Jahre in dem Kinderheim untergebracht war. Aus Datenschutzgründen sei die Kirche gesetzlich verpflichtet gewesen, die Akten mit den Listen der Bewohner nach 25 Jahren zu vernichten.

 

Der Margaretenhort an der Harburger St. Petrus-Kirche wurde 1907 gegründet und war bis in die 80er Jahre ein Heim für rund 70 Kinder und Jugendliche. Dabei handelte es sich überwiegend um Waisenkinder und Kinder aus zerrütteten Familien. Außerdem lebten hier Kinder aus Flussschiffer-Familien. Die zentrale Einrichtung wurde ab Mitte der 80er Jahre schrittweise aufgelöst. Heute leben rund 80 betreute Kinder und Jugendliche in Einzelwohnungen in Harburg und Umgebung.

Der Kirchenkreis Hamburg-Ost bittet die Opfer, sich zu melden, und bietet ihnen seelsorgerliche Gespräche, Therapien und juristische Beratung an. Die Hilfe für die Opfer stehe im Mittelpunkt der Ermittlungen, hieß es. Die Polizei sei bislang nicht in die Ermittlungen eingebunden worden. Betroffene sollten selbst entscheiden, ob sie eine Anzeige stellen wollten. Die zuständige Heimaufsicht in der Sozialbehörde hat der Kirchenkreis Hamburg-Ost am Montag über die Vorkommnisse informiert. „Es wird in Kürze ein Gespräch mit dem Träger erfolgen. Wir erwarten vom Träger eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge“, sagte ein Sprecher der Sozialbehörde.

„Wir mussten die Vorwürfe erst einmal selbst einordnen“

Dass es seit Mai noch fast ein halbes Jahr dauerte, bis der Kirchenkreis Ost die Missbrauchsvorwürfe öffentlich bekannt machte, erklärte Sprecher Koch damit, dass sich die Kirche nach den im Jahr 2010 bekannt gewordenen Missbrauchsfällen im schleswig-holsteinischen Ahrensburg einem Maßnahmenkatalog verschrieben habe, der in solchen Fällen bestimmte Abläufe vorgebe – unter anderem, dass externe Berater hinzugezogen werden müssten. „Wir mussten die Vorwürfe erst einmal selbst einordnen.“ 2010 sei nicht alles richtig gemacht worden, sagte Koch. „Und wir wollen nicht, dass Betroffene noch einmal leiden, weil man zu schnell gehandelt hat.“

Die vor sechs Jahren ans Tageslicht gekommenen Taten eines Ahrensburger Pastors hatten eine Lawine innerhalb der damaligen nordelbischen Kirche ins Rollen gebracht. Der inzwischen aus dem Dienst entlassene Geistliche hatte eingeräumt, über Jahrzehnte hinweg Jugendliche missbraucht zu haben. Das Versagen der Kirche im Umgang mit dem Fall hatte noch im selben Jahr zum Rücktritt von Bischöfin Maria Jepsen geführt. Ihr wurde vorgeworfen, dass sie Hinweise ignoriert habe. 2012 setzte die evangelische Kirche als Folge aus dem Missbrauchsskandal eine unabhängige Kommission ein. Der Schlussbericht dokumentierte zwei Jahre später, dass sich mindestens 14 Pastoren über Jahrzehnte an Minderjährigen vergangen haben.




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