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Wunibald Muller: «wenn Ich Sage, Was Ich Denke, Werde Ich Bestraft»

cath.ch
October 31, 2016

https://www.kath.ch/newsd/wunibald-mueller-wenn-ich-sage-was-ich-denke-werde-ich-bestraft/

Wunibald Muller | © KNA

Wurzburg, 31.10.16 (kath.ch) Wunibald Muller leitete als Theologe und Psychotherapeut 25 Jahre lang das Recollectio-Haus in Munsterschwarzach. Im Ruhestand hat er nun seine Erfahrungen in der Einrichtung fur kirchliche Mitarbeiter in psychologischen Ausnahmesituationen in einem Buch verarbeitet. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht der katholische Theologe uber seine Kritik, aber begrundet auch, wieso er den Buchtitel «Warum ich dennoch in der Kirche bleibe» gewahlt hat. Christian Wolfel

Wunibald Muller, ist Ihr Buch eine Abrechnung mit der Kirche?

Muller: Es ist eine Bilanz meiner personlichen Erfahrungen in der Kirche, vor allem vor dem Hintergrund meiner Tatigkeit im Rahmen der Kirche.

Warum schreiben Sie dieses Buch erst jetzt – im Ruhestand?

Muller: Jetzt hatte ich die Zeit fur grundsatzlichere Gedanken. Aus Loyalitat gegenuber meinem Arbeitgeber habe ich fruher viel Rucksicht genommen, auch wenn ich in den vergangenen Jahrzehnten immer versucht habe, authentisch zu sein und Dinge zu benennen, die aus meiner Sicht im Argen liegen. Als Rentner kann ich jetzt manches deutlicher und auch kritischer benennen, bei aller bleibenden Loyalitat zur Kirche.

Im Buch ist immer wieder vom Geist der Inquisition und einem System der Angst die Rede, vergleichbar mit der DDR. Gab es da fur Sie Schlusselerlebnisse?

Muller: Ich war als junger Angestellter in der Erzdiozese Freiburg in der Priesterfortbildung. Mein Chef konfrontierte mich damit, dass die Glaubenskongregation Aussagen meiner Doktorarbeit uber Homosexualitat beanstandet. Da merkte ich: Es geht nicht nur um eine theologische Aussage, sondern um meine berufliche Existenz. Ich sehe heute noch den Brief mit der kleinen Unterschrift von Joseph Ratzinger vor mir, mit dem er sich an meinen Bischof gewandt hatte. Ich dachte mir: In was fur einem System bin ich denn? Da macht jemand meinem Bischof Druck und ich muss schauen, wie ich mich mit dieser Situation arrangiere. Denn wenn ich sage, was ich denke, werde ich bestraft.

Sie schreiben uber die Einsamkeit von Priestern und deren Folgen. Haben Sie davon auch aus hoheren klerikalen Rangen erfahren?

Muller: In meiner Arbeit als Therapeut hatte ich auch mit Ordensoberen, Personalverantwortlichen und Bischofen zu tun, die ihre Mitarbeiter ins Recollectio-Haus schickten. Manchmal gab es Situationen, wo sie sich geoffnet haben und manches deutlich geworden ist. Sie sind letztlich auch nur Ordensleute oder Priester, die dem Zolibat verpflichtet sind. Bei ihnen verscharft sich manchmal das Problem der Einsamkeit durch die herausgehobene Position. Themen wie Alkoholabhangigkeit, Beziehungen, Homosexualitat sind den Verantwortlichen auch bezogen auf ihr eigenes Leben nicht weniger fremd als ganz normalen Priestern und Ordensleuten.

Ein klerikales oder ein krankes System – diese Begriffe finden sich immer wieder in dem Buch.

Muller: Oben ist die Spitze und unten ist das Volk, das ist verheerend fur die Fruchtbarkeit der Seelsorge. Es werden Initiativen der Menschen unterdruckt, weil man versucht, Vorgaben durchzusetzen. Die heilige Sache wird als wichtiger erachtet als das, worum es wirklich geht: Gott ist die Liebe. Daraus erwachst grosser Frust bei kirchlichen Mitarbeitern. Und der Missbrauchsskandal hat deutlich gezeigt, dass das klerikale System zumindest den Boden fur sexuellen Missbrauch mitbereitet hat – durch das Machtgefalle und indem man den Priester zu einem Heiligen stilisiert hat.

Gibt es Hoffnung auf Heilung?

Muller: Wenn man Heilung als Wiederherstellung dessen begreift, was mal war, gibt es sie nicht. Es gibt die Hoffnung, dass aus dem, was stirbt, sterben muss und wird, Neues entsteht. Vieles, was als Licht erschien, ist ein falsches Licht und das muss ausgehen, damit das wahre Licht – Gott – mehr zum Vorschein kommt.

Was muss konkret sterben?

Muller: Das klerikale System musste ersetzt werden durch ein Netzwerk, in dem jeder – der Bischof, der Mitarbeiter, das gemeine Volk – ebenburtig ist und die gleiche Wurde hat. Und wir haben einen solchen Ballast von Tradition, den wir mit uns herumschleppen, durch den es ganz wenig Moglichkeiten fur Erneuerung gibt. Ein Bild fur mich ist die Enzyklika «Amoris laetitia»: Die entscheidende Stelle ist in einer Fussnote versteckt. Wir mussen entrumpeln!

Warum also bleiben Sie dennoch in der Kirche?

Muller: Weil die Kirche mir in den letzten 60 Jahren Geborgenheit gegeben hat – etwa durch die Eucharistiefeier und die Rituale. Ich bleibe auch, weil ich bei aller Unzulanglichkeit weiss, dass es eine Institution braucht, die Barmherzigkeit organisiert und Krafte bundelt. Da ubersehe ich dann auch einiges. Ich habe ausserdem mein Herzblut in der Kirche gelassen und konnte etwas verandern. Und dann gibt es noch einen Anteil, ich kann das gar nicht genau erklaren: Weil ich sie nicht loslassen kann, weil ich zutiefst mit ihr verbunden bin und weil ich sie trotz allem liebe. (kna)

 

 

 

 

 




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