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Sex-vorwurf Gegen Kirchenmann: Bischof Soll Zweijahrige Vergewaltigt Haben

Focus
December 8, 2016

http://www.focus.de/politik/deutschland/bistum-hildesheim-sex-vorwurf-gegen-kirchenmann-bischof-soll-zweijaehrige-vergewaltigt-haben_id_6298500.html

Das Bistum zahle der jungen Frau das Geld in Anerkennung ihres Leids.

Ein Fluchtlingslager im niedersachsischen Friedland. Hunderte Familien haben hier Unterschlupf gefunden. An einem Tag im Juli begru?t die Lagerleitung wieder Neuankommlinge, die vielen Kinder werden in eine Spielgruppe gebracht. Ein zweijahriges Madchen wird in ein Hinterzimmer gezerrt. Dort wird sie von einem Bischof mutma?lich vergewaltigt.

Danach wird das Madchen zuruck in den Hort gebracht. Dort nimmt die Mutter ihr vollig verstortes und schreiendes Kind wieder in Empfang.

Dieser Fall soll sich am 20. Juli 1957 in dem Lager fur Spataussiedler aus Pommern abgespielt haben. Das Madchen ist mittlerweile 61 Jahre alt. Maria S. (Name geandert) meldete sich vor einigen Tagen bei FOCUS Online und berichtete uber das, was ihr vor 59 Jahren widerfahren sei. Ob die Erzahlungen stimmen, ist unklar.

Klar ist nur: Ihr Bericht birgt Sprengstoff. Denn der Mann, den sie so schwer belastet, hei?t Heinrich Maria Janssen. Er war von 1957 bis 1982 Bischof in Hildesheim, er starb 1988. Er ist Ehrenburger der Stadt. Im Herbst 2015 wurde bekannt, dass der damalige Bischof in den 60er-Jahren einen Messdiener jahrelang sexuell missbraucht haben soll. Das Opfer bekam eine Entschadigung. Vor wenigen Wochen wurde ein zweiter Vorwurf gegen Janssen offentlich. Und nun sagt auch Maria S.: Der Kirchenmann war ein Sex-Tater.

Fall illustriert schwierige Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs

Ihr Fall illustriert, wie schwierig die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs durch Kirchenvertreter ist. Viele der tatsachlichen oder angeblichen Verbrechen liegen viele Jahre zuruck, die Tater sind teilweise verstorben, eine echte juristische Aufarbeitung ist in diesen Fallen kaum moglich. Wie also mit den Betroffenen umgehen? Wie viele Beweise braucht es, welche Ma?stabe setzt man an? Diese Fragen stehen auch bei Maria S. im Vordergrund.

Ruckblende: Maria S. kam am 20. Juli 1957 zusammen mit ihrer dreijahrigen Schwester und ihren Eltern in dem Lager an. Im Mai hatte Heinrich Maria Janssen das Bischofsamt in Hildesheim ubernommen und wurde auch zum Vertriebenenbischof.

Kurze Zeit spater soll es zu der analen Vergewaltigung gekommen sein. Lebende Zeugen dafur gibt es wohl nicht. Untersucht worden sei sie damals nicht von einem Arzt, sagt Maria S. heute. Das sei vollig nachvollziehbar: „Meine Mutter hat mir die Situation geschildert: Sie war mit zwei kleinen Kindern in dem Lager, vollig verunsichert, mein Vater war auf Jobsuche. Es ging um unser Uberleben. Da hatte sie andere Sorgen, als sich um jedes Wehwehchen ihrer Kinder zu kummern. Alle Kinder waren verstort. Es waren furchterliche Zustande.“

Mutma?liches Opfer leidet

Was nach der angeblichen Vergewaltigung geschah, hat Maria S. in den vergangenen Jahren versucht, zusammen mit Therapeuten und ihrer Mutter aufzuarbeiten. Demnach habe sie sich als Kind komplett verandert. Nach Aussage ihrer Mutter habe diese ihre Tochter nicht mehr wiedererkannt. Sie sei fur ihre Eltern kaum mehr erreichbar gewesen, sei sehr stumm geworden. Das, so sagt die Frau heute, konnte damit zusammenhangen, dass der Bischof ihr nach der Tat „Psst“ zugeraunt habe. „Das war wie ein Redeverbot fur ein kleines Kind. Ich hatte in meinem Leben auch immer das Gefuhl: Es gibt etwas woruber ich nicht reden darf.“

Maria S. schildert zudem, dass sie bis heute massive Darm-Probleme habe, sie hatte Lahmungen und sogar Darm-Krebs. Zudem habe sie in ihrem Leben vielerlei psychische Beschwerden entwickelt, Depressionen bekommen. Partnerschaften seien fur sie sehr schwer gewesen, bei Sexualitat habe sie stets Panikattacken bekommen, seit 30 Jahren keine Beziehung mehr gehabt. Und auch als Erwachsene habe sie sexuelle Gewalt erfahren. „Ich habe mich nie gewehrt, ich habe alles ertragen. So wie 1957“, sagt Maria S. „Ich konnte mich aber nie selber verstehen, warum ich nicht reagiere.“

Vor vielen Jahren sei bei ihr eine posttraumatische Belastungsstorung diagnostiziert worden. Diverse Therapien hatten wenig Erfolg, denn es sei nie gelungen, den Grund dafur und ihre Beschwerden herauszufinden, sagt die Frau. „Es gab immer wieder Anhaltspunkte, dass auch in meiner Kindheit etwas passiert sein muss. Es war furchtbar. Ich habe sehr gelitten, aber ich hatte keine Ahnung, warum.“

Bild des Bischofs erkannt

Die Wende kam vor rund funf Jahren. Damals sei sie im beruflichen Umfeld bedroht worden, sagt Maria. S. Dieses Erlebnis habe ihr den Zugang zu ihrer Vergangenheit geoffnet. Denn danach habe sie vor ihrem inneren Auge immer wieder ein mannliches Gesicht und eine schwarze Decke gesehen. Die Decke habe sie irgendwann als Priestergewand identifiziert.

„Ich wollte endlich wissen: Was steckt dahinter?“, sagt Maria S. Die durch die schweren psychischen und korperlichen Probleme mittlerweile arbeitsunfahig gewordene Frau suchte die Orte auf, an denen sie mit Geistlichen in Kontakt gekommen ist.

Im Marz 2015 wagt sie sich nach Friedland, wo heute Asylbewerber leben. In einer Art Kirchen-Chronik habe sie ein Gesicht drei Mal gesehen. "Ich wusste: Das ist der Mann aus meinen Gedanken“. Es ist Heinrich Maria Janssen. Eine der Mitarbeiterinnen der katholischen Kirche dort habe zu ihr gesagt: „Jaja, der Bischoff. Der kam immer mal schnell vorbei. Er hat seine kleinen Kinder so sehr geliebt.“

Kirche lehnt Antrag ab

Maria S. berichtet im Marz 2015 ihrer Psychologin davon, das Gesprach sei protokolliert worden. Also noch bevor die Anschuldigungen gegen den Bischoff durch den Messdiener offentlich werden. Sprich: Eine Trittbrettfahrerin ist Maria S. nicht.

Im November 2015 erfahrt Maria S., dass sie beim Bistum einen Antrag auf Anerkennung ihres Leides stellen kann. Zeitgleich entdeckt sie den Bericht uber den Sex-Vorwurf gegen den Bischof.“ Mir war klar: Ich muss etwas machen.“ Am 19. Januar 2016 findet ein Gesprach mit dem von der Kirche eingesetzten Psychologen statt. Laut Maria S. lief es so ab: „Er hat mir in dem Gesprach zwar immer wieder gesagt: Sie waren so jung. Sie konnen sich doch daran gar nicht mehr erinnern. Aber er sagte mir auch: Egal, was ein Gremium sagt, ich glaube Ihnen.“

Dementsprechend geschockt ist Maria S., als der Psychologe im Namen der Kirche ihren Antrag im Mai 2016 ablehnt. Man wolle zwar nicht die „subjektive Uberzeugung von Bischof Janssen missbraucht worden zu sein in Frage stellen“. Aber die Erinnerungen mussten „objektiv als nicht plausibel eingestuft werden“. Denn: Erinnerungen vor dem dritten Geburtstag seien „an sich wenig plausibel“. Zudem hatte die Vergewaltigung eines zweijahrigen Madchens nicht so leise und diskret geschehen konnen, dass es niemanden auffallt. Auf Anfrage von FOCUS Online bestatigte das Bistum, dass man die Aussage von Maria S. als "nicht plausibel" eingeschatzt habe.

Maria S. ist emport. „Es ist wie eine Ohrfeige, mehr als das. Die Kirche kanzelt mich einfach ab. Ich finde das zynisch, wie man auch meiner Mutter indirekt Vorwurfe macht, ihr hatte das doch auffallen mussen.“

Schwierige Lage fur alle Beteiligten

Doch davon abgesehen: Ist es denkbar, dass sich ein Mensch nach so vielen Jahren an ein Erlebnis in der fruhesten Kindheit erinnert? Gedachtnisforscher gehen davon aus, dass die Grenze bei drei Jahren liegt. Aber die neueste Forschung zeige, dass bei schweren traumatischen Ereignissen auch fruhere Erlebnisse erinnert werden, sagt der Trauma-Experte Martin Sack. Doch der Facharzt fur Psychosomatische Medizin in Munchen macht klar, dass diese Erinnerungen trugen konnen. „Der Kern von traumatischen Erlebnissen wird meistens richtig erinnert. Es kann aber sein, dass man sich etwa an die falsche Person oder Zeit erinnert.“

Der Chef der Traumaabteilung an der Uni-Klinik Munchen erkennt die schwierige Lage fur die Beteiligten an „Die Betroffenen verlangen nachvollziehbar eine Anerkennung. Und die Kirche will und kann nicht pauschal sagen, dass der Vorwurf zutrifft.“

Ahnlich sieht es Johannes-Wilhelm Rorig, der von der Bundesregierung eingesetzte unabhangige Beauftragte fur Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs: „Keinesfalls sollten an Erfahrungsberichten von Betroffenen strafrechtliche Beweiskriterien angelegt werden. Die Frage der zweifelsfreien Nachweisbarkeit einer Erinnerung darf hier nicht im Vordergrund stehen, da es nicht um eine strafrechtliche Bewertung geht." Aber er sagt auf FOCUS Online-Anfrage auch: „Eine einfache Plausibilitatsprufung muss der Kirche gestattet sein.“

Maria S. will Therapie

Neben der Anerkennung ihres Leides ist fur Betroffene wie Maria S. ebenso wichtig, dass man respektvoll mit ihnen umgeht. Hier scheint das Bistum Hildesheim Nachholbedarf zu haben. Schon nach Bekanntwerden des ersten Falls gab es massive Kritik an der Kirche. Auch Maria S. wirft dem Bistum - abgesehen von der Ablehnung - einen zynischen Umgang mit ihr vor. Das Schlimmste fur die Frau: Sie fuhlt sie sich von dem Psychologen betrogen. „Der hat mir ins Gesicht gelogen.“ Von FOCUS Online auf die Vorwurfe gegen den Psychologen angesprochen verweist das Bistum auf die arztliche Schweigepflicht.

Kritik kommt auch vom Missbrauchsbeauftragten Rorig: „Eine Kirche sollte das Leid von Betroffenen stets ernst nehmen und um Linderung bemuht sein. Ich sehe jede Institution, insbesondere kirchliche Einrichtungen wie das Bistum Hildesheim in der Pflicht zu einer betroffenengerechten Kommunikation, die niemals durch widerspruchliche Botschaften gestort werden sollte. Es bedarf einer sensiblen und klaren Haltung gegenuber Betroffenen.“

Maria S. will sich nun mit dem Munchner Institut fur Praxisforschung und Projektberatung (IPP) in Verbindung setzen. Die Forscher arbeiten fur das Bistum Hildesheim alle Vorwurfe auf, Mitte 2017 soll der Bericht vorliegen. Maria S. hofft darauf, dass man ihr dort glaubt und sie dann doch noch eine Entschadigung bekommt. Damit will sie eine spezielle Trauma-Therapie machen, um endlich wieder arbeiten zu gehen. „Ich will gesund und arbeitsfahig sein. Ich will mein Leben wieder zuruck.“

Im Video: Kampagne will Kindern Gehor verschaffen

 

 

 

 

 




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