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Franziskus" Lippenbekenntnisse

By Andrea Spalinger
Neue Zurcher Zeitung
January 20, 2017

https://www.nzz.ch/international/neues-buch-des-enthuellungsjournalisten-fittipaldi-der-vatikan-vertuscht-weiter-kindsmissbrauch-durch-priester-ld.140854

Eine konsequente Haltung scheint der Kirche schwerzufallen. (Bild: Michael Reynolds / EPA)

Emiliano Fittipaldi ist nicht der Typ von Journalist, der sich einschuchtern lasst. Die Publikation seines Buches uber Korruption und Geldverschwendung in der katholischen Kirche hatte dem 42-jahrigen Neapolitaner einen Prozess im Vatikan wegen Veroffentlichung geheimer Dokument beschert. Nach Monaten wurde er im Juli schliesslich freigesprochen. Zu dem Zeitpunkt arbeitete der Enthullungsjournalist bereits an einem neuen, nicht weniger brisanten Buch uber sexuellen Missbrauch durch Geistliche und das Versagen der Kirche, dagegen vorzugehen. Am Donnerstag ist das Buch mit dem Titel «Lussuria» («Wollust») erschienen.

Kultur des Schweigens

Fittipaldis Quellen sind diesmal keine Whistleblower und geheimen Dokumente, sondern offentlich zugangliche Gerichtsakten, Briefe aus Kirchgemeinden und lokale Medienberichte. Daraus zeichnet der Journalist vor allem ein ziemlich dusteres Bild uber die Lage in Italien. In den vergangenen zehn Jahren wurden hier 200 Priester wegen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen angezeigt oder verurteilt. «Die bekanntgewordenen Falle sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs», betont Fittipaldi in einem Gesprach mit der NZZ.

In seinem Buch beschreibt er einzelne Falle wie jenen eines Priesters aus der Lombardei, der Kinder im Beichtstuhl missbrauchte und 2016 in erster Instanz zu fast funf Jahren Haft verurteilt wurde. Papst Franziskus und die zustandige Glaubenskongregation verweigerten in dem Fall die Zusammenarbeit mit den Justizbehorden, sie hielten interne Dokumente unter Verschluss. Ein Priester aus Kalabrien wurde 2015 von der Polizei mit einem 17-Jahrigen im Auto in einer kompromittierenden Stellung ertappt. Es stellte sich heraus, dass er sich regelmassig mit minderjahrigen Prostituierten traf. Wie aus Abhorprotokollen hervorgeht, riet der zustandige Bischof dem Priester, nicht mit den Behorden zu kooperieren. – Wahrend in den USA, in Australien, Irland und Belgien in den letzten Jahrzehnten Skandale aufgedeckt und auch aufgearbeitet wurden, ist sexueller Missbrauch durch Priester in Italien noch weitgehend ein Tabuthema. «In traditionell sehr katholischen Landern wie Italien, Spanien und einigen sudamerikanischen Staaten herrscht bis heute eine Kultur des Schweigens», erklart Fittipaldi. «Die Opfer und ihre Familien wagen es oft nicht, Falle zu melden. Oder sie werden nicht ernst genommen.» Lokale Medien berichten zwar uber Missbrauchsfalle, und vereinzelt werden Tater rechtskraftig verurteilt. Diese werden dann aber als bedauerliche Einzelfalle hingestellt, und man will nicht wahrhaben, dass ein grundlegendes Problem besteht.

Reine Lippenbekenntnisse

Papst Franziskus hat die «Plage» des Kindsmissbrauchs mit deutlichen Worten verurteilt und eine Null-Toleranz-Politik gegenuber Padophilen angekundigt. Er hat unter anderem eine Kommission eingesetzt, die Vorschlage zum Schutz von Kindern ausarbeiten soll, und die Schaffung eines Tribunals versprochen, das Geistliche im Fall von Vertuschung zur Rechenschaft ziehen soll.

«Leider waren dies reine Lippenbekenntnisse», kritisiert Fittipaldi. «In der Praxis hat sich die Lage unter Franziskus kein bisschen verbessert.» Die eingesetzte Spezialkommission habe in vier Jahren ganze dreimal getagt, und das Sondergericht gebe es noch gar nicht. Laut Experten ist eines der Hauptprobleme, dass der Vatikan Priester und Bischofe nicht dazu verpflichtet, Verdachtsfalle im eigenen Umfeld anzuzeigen. Und so werden padophile Priester weiter geschutzt und hin und her versetzt, anstatt exkommuniziert und gerichtlich verfolgt zu werden. Bischofe und Kardinale wiederum, die Missbrauch geschehen lassen oder gar vertuschen, machen Karriere.

Nicht nur in Italien ist das Phanomen noch immer weit verbreitet. Seit dem Amtsantritt von Franziskus 2013 sind bei der Glaubenskongregation 1200 Anzeigen aus der ganzen Welt eingegangen. Was mit diesen geschehen ist, bleibt unklar, weil das Dossier als streng geheim behandelt wird. In den meisten Fallen durfte rein gar nichts unternommen worden sein.

Franziskus personlich hat Vertraute mit fragwurdiger Vergangenheit befordert. Drei von neun Mitgliedern seines Kardinalsrates haben eine schmutzige Weste. Das prominenteste Beispiel ist Kardinal George Pell, der Leiter des Wirtschaftssekretariats und dritthochster Mann im Vatikan. Der Australier hatte als Erzbischof von Sydney systematisch Missbrauch vertuscht und Opfer bestochen, und obwohl er mit 75 Jahren bereits das Pensionsalter erreicht hatte, halt Franziskus an ihm fest.

In einzelnen Fallen hat der Papst zwar durchgegriffen, allerdings immer erst dann, wenn Skandale publik wurden und die Betroffenen nicht mehr tragbar waren. So etwa im Fall des ehemaligen Botschafters in der Dominikanischen Republik, Josef Wesolowski. Der Pole hatte erwiesenermassen jahrelang Kinder missbraucht und pornografisches Material gesammelt. Bevor die Affare ausser Kontrolle geriet, wurde er festgenommen. Als erstem ranghohem Kirchenvertreter sollte ihm im Vatikan der Prozess gemacht werden. Doch das Verfahren wurde mehrmals verschoben, und Wesolowski starb schliesslich, ohne zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.

 

 

 

 

 




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