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Reicht der Skandal bis nach Rom?

By Dominik Weingartner
Luzerner Zeitung
February 18, 2017

http://www.luzernerzeitung.ch/nachrichten/panorama/Reicht-der-Skandal-bis-nach-Rom;art9645,968795

Die Schuld des pädophilen Paters wiegt schwer.

[SEXUAL ABUSE ⋅ For days the fall of a Catholic priest who has abused dozens of children has made headlines. But who has covered the 76-year-old all these years? The traces lead to the Vatican.]

SEXUELLER MISSBRAUCH ⋅ Seit Tagen sorgt der Fall eines katholischen Paters, der Dutzende Kinder missbraucht hat, für Schlagzeilen. Doch wer hat den heute 76-Jährigen all die Jahre gedeckt? Die Spuren führen in den Vatikan.

Dominik Weingartner

Es ist ein Fall von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche, der einen erschaudern lässt: Jahrzehntelang hat sich ein heute 76-jähriger Kapuzinerpater an Dutzenden von Kindern vergriffen. Das berichtete der «Blick» diese Woche in einer Artikelserie. Hintergrund ist die Veröffent­lichung des Buches eines Betroffenen, das mit dem Vorwort von Papst Franziskus besondere Aufmerksamkeit erlangt.

Die Schuld des pädophilen Paters wiegt schwer. Das Opfer, das das Buch geschrieben hat, berichtet davon, bereits im Alter von 9 Jahren von dem Pater vergewaltigt worden zu sein. Der Pater aus der Waadt lebt heute im Kapuzinerkloster in Wil, wie das «St. Galler Tagblatt» gestern berichtete. In einem Artikel des «Blicks» hat sich der Mann zu seinen Taten geäussert. Er habe sich im Lauf von vier Jahrzehnten an Buben vergangen und dabei «etwa 40 Unschuldige massakriert». Das Opfer selber geht davon aus, dass es dreimal mehr Opfer gibt.

Rücktritt aus Fachgremium «Sexuelle Übergriffe»

Doch auch die Kirchenmänner, die seine Taten gedeckt und ihn so vor der Strafverfolgung geschützt haben, haben Schuld auf sich geladen. Im «Blick» wird vor allem der Luzerner Ephrem Bucher, von 2001 bis 2003 und von 2007 bis 2013 oberster Schweizer Kapuziner, dafür verantwortlich gemacht. Bucher selber äussert sich zu den Vorwürfen und bittet die Opfer des fehlbaren Paters um Entschuldigung. Gleichzeitig trat er diese Woche aufgrund der Enthüllungen aus dem Fachgremium «Sexuelle Übergriffe im kirch­lichen Umfeld» der Schweizer Bischofskonferenz zurück.

Doch war Bucher wirklich verantwortlich für die Vertuschung der Verbrechen, oder ist er nur der Sündenbock? Ein In­sider der katholischen Kirche, der anonym bleiben möchte, äussert gegenüber unserer Zeitung die Mutmassung, dass vielmehr ein anderer Kirchenmann die Hauptverantwortung dafür trägt. Die Rede ist von Ephrem Buchers Vorgänger, der seit 2006 als Chef der Kapuziner weltweit in Rom amtet. Dieser Mann war von 1995 bis 2001 sowie 2005 und 2006 oberster Kapuziner der Schweiz. Zuvor war er seit 1989 als Superior für die Südschweiz zuständig. 1989 wurde der pädophile Pater ein erstes Mal versetzt, nachdem sexuelle Übergriffe bekannt geworden waren. 2005, als der Kirchenmann in Rom zum zweiten Mal Provinzial wurde, kehrte der fehlbare Pater in die Schweiz zurück, weil in Frankreich gegen ihn ermittelt wurde. 2011 wurde er in Frankreich denn auch verurteilt. Doch auch in der Folge leitete der Kapuzinerorden kein kirchliches Verfahren gegen den pädophilen Pater ein.

«Nulltoleranzregel» bei Pädophilie

Fast schon zynisch muten da Äusserungen des heutigen Schweizer Kapuzinerchefs, Agostino Del Pietro, in einem Interview mit «kath.ch» an. Bei ihnen gelte die «Nulltoleranzregel». «Mit Erlaubnis des Opfers muss der Täter beim Gericht angezeigt werden.» Auch der angesprochene Mann in Rom schrieb 2016 in einem «Brief an alle höheren Oberen und Delegaten des Ordens», dass «unsere Liebe» vor allem den Opfern gelte, allerdings «nicht in der Absicht, allfällige Schuldige zu decken». Weiter erklärt er, dass bei einem Missbrauchsfall eine kirchliche Voruntersuchung in Gang zu bringen sei. Warum aber seit seinem Amtsantritt als oberster Kapuziner in der Schweiz 1995 im Fall des Waadtländer Paters kein kirchliches Verfahren eingeleitet worden ist, bleibt offen. Eine gestern verschickte Anfrage blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.




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