BishopAccountability.org
 
 

Katholische Intrigen

By Simon Hehli
Neue Zurcher Zeitung
February 24, 2017

https://www.nzz.ch/schweiz/missbrauchsskandal-intrigen-in-der-katholischen-kirche-ld.147630

Giuseppe Gracia, Sprecher des Bistums Chur, spielt eine Hauptrolle im neusten innerkatholischen Streit. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Etwas kann man der katholischen Kirche gewiss nicht vorwerfen: dass sie langweilig ist. Derzeit ist es ein Missbrauchsskandal, der fur Schlagzeilen sorgt. Der Freiburger Daniel Pittet veroffentlichte vor kurzem das Buch «Mon Pere, je vous pardonne», fur das Papst Franziskus das Vorwort geschrieben hat. Pittet berichtet darin, wie er von einem heute 76-jahrigen Kapuzinerpater aus der Waadt missbraucht worden ist, bereits im Alter von neun Jahren sei er von diesem vergewaltigt worden. Der Pater ist gestandig, dass er sich seit 1958 an mindestens vierzig weiteren Jungen vergangen hat, darunter auch sein eigener Neffe.

Der «Blick» widmete der Geschichte eine aufwendige Artikelserie – und warf darin auch die Frage auf, wer schuld sei an der Vertuschung der unheiligen Vorgange. Denn geradestehen musste der Pater fur seine Ubergriffe nie; wenn er aufflog, wurde er einfach an einen anderen Ort versetzt. Die Boulevardzeitung machte als Verantwortlichen den Luzerner Ephrem Bucher aus, der den Schweizer Kapuzinerorden von 2001 bis 2003 und von 2007 bis 2013 geleitet hatte. Doch an dieser Version tauchten Zweifel auf – befeuert durch eine anonyme Stellungnahme eines «katholischen Insiders».

Die Rolle des hochsten Kapuziners

Die «Luzerner Zeitung» fragte am 18. Februar: «Reicht der Skandal bis nach Rom?» Die These des Artikels ist, dass Bucher nur als Sundenbock habe herhalten mussen. Wahrer Schuldiger sei ein anderer Kirchenmann. Der Name wurde zwar nicht genannt, aber aufgrund der Umstande war klar, dass damit Mauro Johri gemeint war. Der Bundner war von 1995 bis 2001 und von 2005 bis 2006 oberster Kapuziner der Schweiz. In diese zweite Amtszeit fiel die Ruckkehr des padophilen Paters, der inzwischen nach Frankreich versetzt worden war, in die Schweiz. Seit 2006 leitet Johri von Rom aus als Generalminister den Kapuzinerorden weltweit.

Die Schweizer Kapuziner wehrten sich gegen die These des Artikels. In einem Beitrag auf dem Portal «Kath.ch» ausserte der Informationsbeauftragte Willi Anderau den Verdacht, hinter den Anschuldigungen stecke Giuseppe Gracia, Mediensprecher des Churer Bischofs Vitus Huonder. Damit erhielt die Geschichte eine kirchenpolitische Dimension. Denn Johri, ist ein potenzieller Kandidat fur das Amt eines apostolischen Administrators in Chur. Ein solcher solle interimistisch auf Huonder folgen, um Ruhe ins zerruttete Bistum zu bringen, fordern Reformkatholiken.

Die Forderung ist gar nicht nach dem Gusto von Huonder und seiner Entourage. Deshalb verfolge Gracia mit seiner Aktion das Ziel, Johri «abzuschiessen», sagte Anderau. Das zeige, mit «welchen fiesen Methoden» man in Chur arbeite. Wie sich nun herausstellt, ist tatsachlich Gracia die anonyme Quelle der «Luzerner Zeitung»: In einer Mail outete er sich am Freitag selber. Ohne das Wissen von Huonder habe er letzte Woche zwei Medienschaffende auf mogliche hohere Verantwortliche im Vertuschungsskandal um den Kapuzinerpater aufmerksam gemacht. Er habe dies als seine Pflicht empfunden, schreibt Gracia. Er wisse nicht, was oder ab wann Johri alles gewusst habe und ob er aktiv an der Vertuschung beteiligt gewesen sei. «Ich weiss nur, dass er als Provinzial fur den Pater verantwortlich war und dass er sich bisher nicht dazu aussern musste.»

Alles nur ein Ablenkungsmanover?

Dieser Umstand habe ihn emport, so Gracia. Er wirft nun seinerseits den Kapuzinern vor, bei deren Vorwurfen handle es sich um ein Ablenkungsmanover, das dazu diene, Johri zu schutzen und den eigentlichen Skandal vergessen zu machen. «Nach alter Manier versucht man jene, die Missstande aufdecken, offentlich zu desavouieren.»

Kapuziner-Generalminister Johri will derzeit keine Auskunft geben, wie er auf Anfrage schreibt. Er mochte die Ergebnisse einer Untersuchung abwarten, die der Provinzial der Schweizer Kapuziner angekundigt hat. Dass Johri uber den Fall des padophilen Priesters Bescheid wusste, ist jedoch unbestritten. Als dieser 2005 in die Schweiz zuruckkehrte, habe ihm Johri ein Berufsverbot als Priester erteilt und ihn in ein Kloster in Delsberg geschickt, um ihn aus dem Verkehr zu ziehen, sagt der Informationsbeauftragte Anderau. Auf eine Anzeige bei der weltlichen Justiz haben die Kapuziner jedoch verzichtet. Erst spater enttarnten welsche Medien den Pater, der sich deswegen 2008 vor der Freiburger Justiz verantworten musste – aber ohne Strafe davonkam, weil die Ubergriffe verjahrt waren.

 

 

 

 

 




.

 
 

Any original material on these pages is copyright © BishopAccountability.org 2004. Reproduce freely with attribution.