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Amtsverstandnis Hat Missbrauch Begunstigt

Katholisch
March 9, 2017

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Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche wird langsam auch Gegenstand der Theologie. Die akademische Disziplin musse sich befragen lassen, ob theologische Konzepte und Vorstellungen zu Bedingungen beigetragen haben, unter denen Kleriker Minderjahrige missbrauchen und die Taten vertuschen konnten, sagt der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet. An der Universitat Freiburg tagen am Donnerstag und Freitag erstmals Dogmatiker, Moraltheologen, Historiker, Psychiater und Kriminologen zu dem Thema. Striet berichtet im Interview uber das langsame Umdenken in der Theologie.

Frage: Prof. Striet, an der Uni Freiburg stellt eine Tagung Anfragen an die Theologie angesichts von sexuellem Missbrauch gegen Minderjahrige in der Kirche. Das Thema ist relativ neu auf der Agenda der Theologie. Wie kam es zur der Veranstaltung?

Striet: Wir haben schon lange Kontakt zu dem Jesuiten Hans Zollner, der fur den Vatikan weltweit fur Pravention zustandig ist, und besuchen ihn regelma?ig mit Studierenden, damit er uns von seiner Arbeit berichtet. Schon seit langer Zeit wird von ihm darauf hingewiesen, dass die Theologie sich des Themas Missbrauch zu wenig annimmt. Ganz so wurde ich dies nicht sagen, die Theologie arbeitet daran und es gibt auch Publikationen. Aber bei unserer wissenschaftlichen Tagung arbeiten jetzt Theologen, Psychiater und Kriminologen in einer interdisziplinaren Weise zusammen, die noch intensiviert werden muss, um sich dem Phanomen von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen zu nahern.

Frage: Was kann die Theologie als Wissenschaft uberhaupt zur Aufklarung des Missbrauchs beitragen?

Striet: Die Theologie hat keine eigenen methodischen Zugange, wenn es um die psychiatrische Analyse von Opfern und Tatern geht. Aber sie kann auf ihre eigene Geschichte schauen und nachprufen, ob es Theologiekonzepte gibt, die begunstigt haben, dass aus Christen - und wir reden vor allem von Amtstragern - Tater wurden und werden.

Frage: Und haben theologische Konzepte den Missbrauch begunstigt?

Striet: Ein sakralisiertes Amtsverstandnis hat eine Verschwiegenheit im System ausbilden lassen, die Missbrauch massiv begunstigt hat. Wenn man auf Opferbiografien schaut, waren dies oft Kinder und Jugendliche aus dem Mittelstand und mit kirchlicher Milieupragung, etwa Messdiener. Auf sie haben Missbrauchstater aus dem Klerus einen Zugriff bekommen, weil das Amt und die Figur des Priesters so hochstilisiert und gleichzeitig mit Vertrauen ausgestattet wurden, dass gar nicht erst der Verdacht aufkam, dass hinter der Kontaktaufnahme zu Kindern etwas ganz anders stecken konnte.

Frage: In der Bibel und auch in der Geschichte des Christentums spielt immer wieder die "kultische Reinheit" eine Rolle. Kann in dem Konzept eine Begrundung fur den Missbrauch liegen?

Striet: Das ist eines der wichtigsten Themen, dem wir uns bei der Tagung zuwenden. Die Vorstellung von kultischer Reinheit ist im Kontext von Erlosungsvorstellungen entwickelt worden: Sie ist bestimmt von der Idee, man musse moglichst rein, unbefleckt und eben auch nicht von Sexualitat bestimmt sein. Wenn man es mit Praktiken der Selbststeuerung erreicht, dass das Begehren zum Erliegen kommt, man so nicht mehr innerlich mit dem Schmutz der Welt besudelt wird, so ist das bereits Geschmack der Seligkeit. Das Problem ist aber, dass dies nur in den seltensten Fallen gelingen durfte. Und wenn diese Wunsche dann doch aufbrechen, so kann dies in normabweichenden Fallen zu dramatischen Auswirkungen auf andere fuhren. Ich meine sexuelle Gewalt bezogen auf Minderjahrige. Und theologisch ist diese Reinheitsvorstellung und das sie begleitende Konzept einer Leistungsfrommigkeit hochgradig fragwurdig.

Frage: Welche Rolle spielt das sakral aufgeladene Bild, das die Kirche von einem Priester hat und das die Gesellschaft lange Zeit hatte?

Striet: Fruher hat das dazu gefuhrt, dass man gar nicht auf die Idee kam, dass Priestersexualitat in Kontexten wie Katechese, Internat oder auch Jugendarbeit eine Rolle spielen konnte. Durch die Tabuisierung des Themas hat man aber gerade den Raum geschaffen, in dem Priester sexuelle Bedurfnisse auf diese schreckliche Weise ausleben konnten. Heute sind alle Bischofe und die Verantwortlichen in den Diozesen zumindest hierzulande mit Praventionsma?nahmen befasst, damit Missbrauch nach Moglichkeit verhindert wird. Ob man aber auch bereit ist, theologisch umzudenken? Zu akzeptieren, dass man uber lange Zeit zu einfach gedacht hat? Da bin ich skeptischer. Die Tabuisierung des Themas Sexualitat im Raum der Kirche, jedenfalls auf der Ebene ihrer Leitung, ist noch lange nicht beendet. Und man scheint auch nicht bereit zu sein, unter dem Vorzeichen des Missbrauchsskandals uber das Amts- und Kirchenverstandnis auch nur nachzudenken.

Frage: Menschen, die von Klerikern missbraucht wurden, berichteten in der Vergangenheit immer wieder, dass ihnen der Missbrauch spater im Beichtstuhl als Sunde angerechnet wurde. Sind dieses falsche Sundenbewusstsein und die Sundenrhetorik von Seiten der Kirche heute uberwunden?

Striet: Nein, sie sind noch nicht uberwunden. In Deutschland wurde der sexuelle Missbrauch von Kindern bis in die 1950er Jahre hinein auf der Ebene des Ehebruchs verhandelt: Weil Sexualitat nur in einer sakramentalen Ehe legitim gelebt werden durfte, war alles andere Ehebruch. Der Moraltheologe Heribert Jone ging tatsachlich solchen Fragen nach, wie es moralisch zu beurteilen ware, wenn eine Frau beim Vergewaltigungsakt Lust empfinden wurde. Das gleiche Denkmuster wurde ubertragen auf Kinder. An dem Beispiel sieht man, wie sich so eine Moraltheologie, die bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil gelehrt wurde, verheerend ausgewirkt hat.

Rein soziologisch betrachtet, haben sich inzwischen in Westeuropa weite Teile des katholischen Milieus von der katholischen Sexualmoral gelost. Ab Ende der 50er Jahre gewannen auch Teile der akademischen Moraltheologie ein ganz anderes Verhaltnis zur Sexualitat und begannen, sie wertzuschatzen. Ab da wurde die sexuelle Gewalt an Kindern – zumindest im akademischen Diskurs – als ein volliger Tabubruch kritisiert. Aber innerhalb der Institution Kirche herrschen andere Mechanismen, da kommen die modernen Erkenntnisse aus der Humanmedizin und aus der Psychologie nicht so an, wie sie dies sollten.

Frage: Ist Missbrauch als Thema inzwischen in der Moraltheologie angekommen?

Striet: Ich bin kein Moraltheologe, aber meine Wahrnehmung ist: Ja, sie kummert sich darum, weil das Thema so drangend ist, und es gibt inzwischen gute akademische Publikationen. Aber die anderen theologischen Disziplinen hinken hinterher. Es war klar, dass die Moraltheologie als erstes reagieren wurde und auch musste. Die systematischen Disziplinen der Dogmatik und Fundamentaltheologie, die sehr grundlegende theologische Frage stellen, haben aber ihre Hausaufgaben teils noch zu machen. Unter anderem an der Stelle will unsere Tagung nun nachbessern.

Frage: Was kann die Theologie dazu beitragen, dass kunftig Missbrauch durch Kirchenvertreter verhindert wird?

Striet: Die Theologie kann historisch aufklaren und so zum Verstehen beitragen, unter welchen historischen Bedingungen bestimmte theologische Vorstellungen entstanden sind. Sie kann auch daran arbeiten, dass manche dieser Konzepte ihrer Wirkmachtigkeit abgebaut werden. Und sie kann durch historisch-kritische Arbeit und theologische Neuorientierungen versuchen, Einfluss auf die Praxis der Ausbildungsinstitute nehmen – fur die jedoch in der katholischen Kirche am Ende die Bischofe letztverantwortlich sind.

Frage: Bei der Tagung geht es auch um die aktuelle Aufarbeitung bei der Bischofskonferenz und um die papstliche Kinderschutzkommission, der neuerdings keine Opfer mehr angehoren. Welche neuen Erkenntnisse werden da geboten?

Striet: Der fur die Missbrauchsstudie der Bischofskonferenz zustandige Psychiater Harald Dre?ing wird vorlaufige Ergebnisse vorstellen. Das was bislang als Erkenntnisse gesichert wurde, wird uns vorgestellt und kann in die Diskussion eingehen. Gleichzeitig gehe ich davon aus, dass Theologiewissen notig ist, um Tater- und Opferprofile, aber auch die Struktur praziser verstehen zu konnen, die Missbrauch begunstigt. Ich denke, dass wir hierbei Synergieeffekte erzielen werden und auch die Vertreter der nichttheologischen Wissenschaft von der gemeinsamen Arbeit profitieren. Die Vorgange in Rom kann ich nicht beurteilen. Wir sind gespannt darauf, was Pater Zollner uns zur aktuellen Situation erzahlt.

Von Agathe Lukassek

 

 

 

 

 




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