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Domspatzen-Ermittler zählt 547 Fälle von Missbrauch und Gewalt

By Kilian Neuwert, Christina Fuchs, Katharina Häringer, Uli Scherr
BR
July 18, 2017

http://www.br.de/nachrichten/regensburger-domspatzen-missbrauchsfaelle-abschlussbericht-102.html


[with video]

[Sonderermittler Weber said he classified a total of 547 abuse cases as highly plausible at the Regensburg Cathedral choir of which 500 were children victims of physical violence, 67 were victims of sexual violence. In addition, one would have to assume that there were other victims.]

Bei den Regensburger Domspatzen sind über Jahrzehnte mehr als 500 Kinder Opfer von Gewalt, Misshandlung und sexuellem Missbrauch geworden. Diese Zahl nennt Sonderermittler Ulrich Weber in seinem lange erwarteten Abschlussbericht. Es gibt aber immer noch eine Dunkelziffer.

Sonderermittler Weber sagte, er habe insgesamt 547 Missbrauchsfälle als hochplausibel eingestuft, davon waren 500 Kinder Opfer körperlicher Gewalt, 67 waren Opfer sexueller Gewalt. Einige wurden Kinder wurden sowohl sexuell als auch körperlich misshandelt. Darüber hinaus müsse man davon ausgehen, dass es noch weitere Fälle gegeben habe. Weber geht von einer Dunkelziffer aus, insgesamt könnte es bis zu 700 Fälle geben.

"Gefängnis, Hölle, Konzentrationslager"

Bei den Beschuldigten hat der Sonderermittler 49 Personen mit hoher Plausibilität bewertet. Neun dieser mutmaßlichen Täter von ihnen wurden sexuell übergriffig. Vor allem in der Vorschule habe eine Atmosphäre alltäglicher Gewalt geherrscht. Ihre Zeit in dieser Einrichtung beschrieben die Opfer laut Anwalt Weber als Gefängnis, Hölle und Konzentrationslager, als die schlimmste Zeit ihres Lebens, geprägt von Angst, Gewalt und Hilflosigkeit. Grund für die Gewalt seien meist Verstöße gegen ein willkürlich ausgelegtes Regelwerk gewesen.

Scharfe Kritik an früherem Bischof Ludwig Müller

Deutliche Kritik übt der Sonderermittler am früheren Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller. Dieser habe eine "klare Verantwortung" für die "strategischen, organisatorischen und kommunikativen Schwächen" des von ihm 2012 initiierten Aufarbeitungsprozesses. Die Abberufung von Müllers als Präfekt der Glaubenskongregation vor wenigen Tagen steht nach Webers Aussagen jedoch in keinem Zusammenhang. Der Vatikan habe vorab keine Kenntnisse vom Inhalt seines Sonderberichtes gehabt.

Zwiespältige Rolle von Papstbruder Georg Ratzinger

Zur Rolle des Domkapellmeisters Georg Ratzinger sagte Weber, dieser habe "kein Wissen über sexuelle Gewalt" gehabt. Er warf ihm jedoch vor, bei den Fällen körperlicher Gewalt weggeschaut zu haben. Der heute 93 Jahre alte Ratzinger hatte den Knabenchor seit 1964 geleitet. Er ist der Bruder des zurückgetretenen Papstes Benedikt XVI.

Generalvikar: "Wir haben Fehler gemacht"

Generalvikar Fuchs räumte ein, das Bistum habe bei der Aufarbeitung Fehler gemacht. "Wir hätten vieles besser machen können", sagte er. Wichtig sei für die Zukunft, dass die Kirche bei Missbrauchsverdachtsfällen nicht abwarte, sondern bei der Aufklärung eine aktive Rolle einnehme. Die Einsetzung eines unabhängigen Sonderermittlers habe sich bewährt. Gemeinsam mit anderen Kirchenvertretern hatte Fuchs im Anschluss an die Pressekonferenz Webers zu Stellung genommen.

Chorleiter Büchner zeigt sich betroffen

Der heutige Leiter dess Knabenchores, Roland Büchner, sagte, die Ereignisse würden ihn traurig machen. "Ich verurteile das ganz scharf. So etwas darf nicht mehr passieren." Der Chor sei heute ein anderer. Alle Mitarbeiter würden ermutigt, dass sie aktiv auf Kinder zugehen, denen es augenscheinlich nicht gut gehe. Zur Rolle seines Vorgängers Georg Ratzinger sagte Büchner, für diesen sei das Wichtigste gewesen, dass die Leistung des Chores stimmt. "Er hat sich wenig um das andere gekümmert."

"Die Qualität des Chores muss stimmen, aber nicht um jeden Preis"

Domkapellmeister Roland Büchner

Nicht alle Opfer beantragen Entschädigung

Offenbar haben längst nicht alle Missbrauchs- und Gewaltopfer einen Antrag auf finanzielle Entschädigung gestellt. Bisher seien erst rund 300 Anträge eingegangen, hieß es. Rund 450.000 Euro seien bislang ausbezahlt worden.

Das Bistum Regensburg hat den Opfern sogenannte Anerkennungsleistungen zugesagt. Sie liegen pro Person zwischen 5.000 und 20.000 Euro. Darüber wird auf Grundlage von Webers Bericht in einem gesonderten Gremium entschieden, in dem auch Opfervertreter beteiligt sind.

Opfervertreter Peter Schmitt hatte den Abschlussbericht des Regensburger Rechtsanwalts Ulrich Weber schon im Vorfeld als einen großer Schritt bewertet: "Nach vielen Jahren ist damit das Ziel einer umfangreichen Aufklärung der Missbrauchsfälle zwischen 1949 und 1992 erreicht", sagt der 56-Jährige.

Der lange Weg der Aufarbeitung

Parallel zur Arbeit des Rechtsanwalts befasste sich ein eigens gegründetes Gremium mit der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle. Das Aufarbeitungsgremium, dem unter anderem Bischof Voderholzer, der Domspatzen-Internatsdirektor Rainer Schinko, sowie Betroffene angehören, hat sich auf ein Vier-Säulen-Konzept geeinigt.

Die dunkle Seite der katholischen Kirche: Domspatzen kein Einzelfall

2010 wurde nicht nur der Skandal um sexuellen Missbrauch und körperliche Gewalt bei den Regensburger Domspatzen bekannt. Auch in anderen Einrichtungen der katholischen Kirche in Deutschland wurden Kinder misshandelt und vergewaltigt. Es handelt sich um Fälle, die zum Teil erst nach Jahrzehnten bekannt wurden.

Eine Chronologie von erschütternden Fällen




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