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Die Sundige Kirche

Deutschlandfunk
July 22, 2017

http://www.deutschlandfunk.de/missbrauchsskandal-bei-den-regensburger-domspatzen-die.720.de.html?dram:article_id=391737

Der offentliche Druck zu den Missbrauchen in der katholischen Kirche mussten, anhalten, kommentierte Joachim Frank im Dlf: Ansonsten wurden diejenigen, die immer noch nichts verstanden hatten, wieder Oberwasser bekommen - wie etwa der ehemalige Prafekt der Glaubenskongregation Gerhard Muller.

Destruktiv, zerstorerisch war die katholische Kirche lange genug. Die Seelen ungezahlter Kinder und Jugendlicher hat sie zerstort. Nein, nicht die Kirche als Ganzes. Wohl aber all jene Priester, Ordensleute, Seelsorger, die sich an Schutzbefohlenen vergingen, sie schlugen, misshandelten, sexuell missbrauchten.

Und die Kirchenoberen, die wegschauten, abwiegelten, sich um die Tater sorgten, noch mehr aber um die heilige Kirche. Das alles hatte System: Institutionenschutz vor Opferschutz. Schon deshalb ist es falsch und gefahrlich, die Vergehen auf Einzelfalle und individuelles moralisches Versagen zu reduzieren.

Der am Dienstag vorgelegte Abschlussbericht zu den jahrzehntelangen Misshandlungen bei den Regensburger Domspatzen gibt erneut Zeugnis vom ganzen Ausma? der Verwustung im Raum der Kirche. Der Bericht ist besonders erschutternd, weil so viele Sanger des weltberuhmten Chors zu Opfern wurden. 550 waren es uber die Jahrzehnte.

Inzwischen aber sind so viele Opfergeschichten erzahlt, so viele haarstraubende Missstande zutage gebracht worden - Bischofe haben um Entschuldigung gebeten und Besserung gelobt; Bistumer und die Deutsche Bischofskonferenz haben auch viel unternommen fur Aufklarung und Pravention -, sodass irgendwie alles von allen gesagt und getan zu sein scheint. Und bei manchem in der Kirche hat sich deshalb auch ein Gefuhl zwischen Uberdruss und Trotz eingenistet: Die Diskussion muss doch irgendwann auch mal ein Ende haben.

Diskussion muss weiter gehen

Hat es aber nicht. Darf es nicht. Diskussion und offentlicher Druck mussen anhalten, weil sonst diejenigen in der Kirche Oberwasser bekamen, die immer noch nichts verstanden haben. Sie halten die Welle der Emporung fur unverhaltnisma?ig und ubertrieben, haben sie von jeher als Medienkampagne gegei?elt, als boswillige Attacke auf die Kirche in destruktiver, zerstorerischer Absicht.

Es ist deshalb vielleicht sogar gut, dass diese Position bis heute ein Gesicht und eine Stimme hat: die von Kardinal Gerhard Muller, bis 2012 Bischof von Regensburg. Der unabhangige Ermittler im Domspatzen-Skandal weist Muller in seinem Bericht "klare Verantwortung" fur die "Schwachen der Aufarbeitung" zu. Doch Muller bestreitet das, droht sogar, gegen jeden Vorwurf der Verschleppung anwaltlich vorzugehen. Und wiederholt seine Lieblingsthese, dass die Kirche im Missbrauchsskandal selbst das Opfer sei. Zitat: "Es ist offensichtlich, dass die katholische Kirche bei dem Thema harter angegangen wird, dass Priester a Apriori verdachtigt werden." 2010 ging Muller noch weiter: Da ruckte er die Medienberichte in die Nahe der kirchenfeindlichen Nazi-Propaganda.

Lange Zeit blieb das folgenlos. Papst Benedikt XVI. holte Muller 2012 von Regensburg ins kirchliche Machtzentrum nach Rom. Funf Jahre fungierte Muller als oberster Huter der katholischen Lehre, bis Papst Franziskus ihn vor Kurzem zu sich zitierte und ihm eroffnete, dass er seinen Posten als Prafekt der Glaubenskongregation los sei. Offen ist, ob die Ablosung auch mit Mullers unklarer Haltung zum Problem des Missbrauchs zu tun hat.

Auch er schamt sich nach eigenen Worten fur die sexuellen Vergehen von Geistlichen. Die Kirche, so wurde es Muller wohl sagen, ist "Kirche der Sunder". Aber ist sie auch sundige Kirche? Fur ihn: niemals.

Blick auf strukturelle Ursachen des Missbrauchs lenken

Der Unterschied ist nicht blo? eine sprachliche Nuance. Vielmehr geht es um den Perspektivwechsel vom Individuum zur Institution. Die Kirche muss als letzte Konsequenz aus dem Missbrauchsskandal den Blick auf die strukturellen Ursachen fur Missbrauch lenken und systembedingten Begunstigungen entgegentreten.

Diese liegen nicht – wie allzu eilfertiges Psychologisieren es nahelegt – in der priesterlichen Lebensform. Vom Zolibat fuhrt keine direkte Kausallinie zu sexuellem Missbrauch. Sehr wohl aber besteht ein Zusammenhang mit unreifer, verdrangter Sexualitat. Mit Tabuisierung. Und mit einer schrecklich falsch verstandenen Macht. Geistlicher Macht.

Was sagte Kardinal Muller zum Thema Missbrauch? Es sei offensichtlich, dass die katholische Kirche hier "harter angegangen wird". Er sollte das nicht etwa beklagen, sondern fur selbstverstandlich halten. Denn welche andere Gemeinschaft beansprucht, dass ihre Vertreter "in Gottes Namen" agieren. Und was konnte dann schlimmer sein, als wenn Seelsorger durch sexuellen Missbrauch, aber auch durch andere Misshandlungen nicht nur die Integritat der ihnen Anvertrauten verletzen, nicht nur ihr Vertrauen auf das Gute in anderen Menschen erschuttern, sondern auch ihren Glauben an einen gutigen Gott?

Fur die Kirche muss das Entsetzen daruber der tiefste innere Beweggrund im Kampf gegen jede Form von Missbrauch und im Einsatz fur Pravention sein. In all der Zerstorung liegt zumindest ein konstruktives Moment.

 

 

 

 

 




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