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Bischof Voderholzer wendet sich an Opfer anderer Einrichtungen

By Von Robert Werner
Regensburg Digital
July 24, 2017

http://www.regensburg-digital.de/bischof-voderholzer-wendet-sich-an-opfer-anderer-einrichtungen/24072017/

„Helfen Sie mit, dass alle, die in anderen kirchlichen Einrichtungen Opfer von Misshandlungen oder sexueller Gewalt geworden sind und die sich bislang nicht gemeldet haben, den Mut aufbringen, sich uns anzuvertrauen.“

Weist jede Kritik von sich: Gerhard Ludwig Müller.

2014 wurde Paul Mai (re.) von Bischof Voderholzer in allen Ehren und mit viel Lob bedacht in den Ruhestand verabschiedet. Zöglinge Mais im Knabenseminar beschreiben ihn als sadistischen Schläger.

Generalvikar Michael Fuchs: „Nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt.“

[Did Bishop Voderholzer and his assistants in the episcopal ordinariat really learn from the mistakes regarding the far-reaching violence in the Domspatzen institution? Obviously not. A few days after the Domspatzen final report, Bishop Voderholzer went to the public with an extended appeal. He called for the first time for those who suffered bodily violence in church institutions to turn to the relevant authorities of the diocese. Voderholzer protects himself against his predecessor Gerhard Ludwig Müller.]

Wenige Tage nach dem Domspatzen-Abschlussbericht geht Bischof Voderholzer mit einem erweiterten Aufruf an die Öffentlichkeit. In seinem aktuellen Hirtenwort ruft er neben den Betroffenen, die in kirchlichen Einrichtungen körperverletzende Gewalt erleiden mussten, erstmals auch Opfer sexueller Übergriffe auf, sich an die zuständigen Stellen des Bistums zu wenden. In Sachen Aufklärung der Vorfälle bei den Domspatzen stellt Voderholzer sich schützend vor seinen Vorgänger Gerhard Ludwig Müller.

An diesem Wochenende wurde in den katholischen Messfeiern der Diözese Regensburg ein Hirtenwort des Bischofs verlesen. Darin wendet sich Rudolf Voderholzer „mit einem sehr ernsten Thema“, sprich mit einer eher wissenschaftlich gehaltenen Zusammenfassung des Abschlussberichts von Rechtsanwalt Ulrich Weber, an seine „Liebe(n) Schwestern und Brüder in Christus, dem Herrn!“

Der Bericht des „vom Bistum beauftragten, aber unabhängig arbeitenden Rechtsanwalts“ Weber habe, so der Regensburger Bischof, auftragsgemäß „die Gewalttaten, die Kindern und Jugendlichen bei den Domspatzen in der Vergangenheit angetan wurden“ dokumentiert und „die Strukturen und Zusammenhänge, die diese Taten ermöglicht oder gar noch gefördert haben“, durchleuchtet. Den „wichtigsten Beitrag zu dieser Arbeit haben die Betroffenen geleistet“, so Voderholzer. Dafür spreche er ihnen seinen aufrichtigen Dank aus. Die von Rechtsanwalt Weber ausführlich geschilderten Übergriffe (in Summe: über 500 Körperverletzungen, 67 sexuelle Missbrauchstaten und 115 einer Tat beschuldigte Personen) würden ihn zutiefst zerknirschen und mit Scham erfüllen. Im Anschluss an das Hirtenwort seines Vorgängers, das Bischof Gerhard Ludwig Müller im März 2010 verfasste, sagt Voderholzer, den Opfern gelte unser tiefes Mitgefühl. Und: „Ihrer Ehre und Würde schulden wir, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt“.

Voderholzer lobt sich in die eigene Tasche

Einer Kritik an Kardinal Müller, so wie sie derzeit landläufig zu vernehmen ist, enthält sich Voderholzer. Stattdessen verweist er im Hirtenwort darauf, dass sein Vorgänger Müller schon 2010 die entsprechenden Strukturen für die Aufarbeitung geschaffen habe. Eine geschönte Lesart, die schon letztes Jahr von Generalvikar Michael Fuchs vorbereitet wurde und von Betroffenen alles andere als geteilt wird.

Ansonsten lobt Voderholzer sich selbst und schönt die Vorgeschichte des Aufklärungsprozesses. In Gesprächen mit einzelnen Opfern sei ihm, Voderholzer, schnell deutlich geworden, „dass ein gemeinsames Vorgehen mit den Betroffenen, ein Hinhören auf ihre Erwartungen und Nöte ebenso wichtig“ sei, „wie ein unabhängiger Blick auf die Strukturen und Zusammenhänge“. Die Einsicht, „dass das Bistum Hilfe von außen und von unabhängiger Seite in Anspruch nehmen müsse“, sei gewachsen und daraufhin Rechtsanwalt Weber beauftragt worden.

Tatsächlich leitete Bischof Rudolf Voderholzer, seit Januar 2013 Bischof von Regensburg, eine Wende nicht schnell, sondern erst über zwei Jahre nach seinem Amtsantritt im April 2015 und unter massiven öffentlichen Druck ein. Im Oktober 2016 wurden die Ergebnisse aus diesem gemeinsamen Vorgehen, die im Wesentlichen von den Vertretern ehemaliger Domspatzen erarbeitet wurden, präsentiert: finanzielle Anerkennungsleistungen von fünf- bis zwanzigtausend Euro, Einrichtung einen externen Beratungsstelle und sozialwissenschaftliche Studien zur Erforschungen der Gewaltbedingungen. 

Regensburger Salamitaktik

Schon Anfang Januar 2017 vermeldete das Bistums Regensburg ganz nebenbei auf seiner Internetseite unter der Rubrik „News“, dass ein neues Projekt zur Anerkennung von Leid durch „massive Körperverletzung“ im kirchlichen Bereich eingerichtet worden sei. Es gehe um in strafrechtlicher Hinsicht verjährte Taten an Minderjährigen, die von Klerikern oder weltlichen Mitarbeitern des Bistums außerhalb der Einrichtungen der Domspatzen verübt wurden seien. Betroffene sollen sich an die vom Bistum beauftragten Personen wenden. Opfer sexualisierter Gewalt wurden in der „News“ von Anfang 2017 („Neues Bistumsprojekt zur Aufarbeitung von Körperverletzung“) allerdings nicht angesprochen, ebenso wenig eventuelle Tatorte.

Gemeint waren vermutlich die Einrichtungen der Katholischen Jugendfürsorge (KJF), bischöfliche Knabenseminare (Regensburg, Straubing und Weiden), kirchliche Schulen, Heime und Kindergärtner der Diözese. Jedoch nicht klösterliche Einrichtungen, denn diese sind dem Diözesanbischof kirchenrechtlich und administrativ nicht untergeordnet.

Hochwürdige Herrn und Gewalttäter

Beispielsweise geht es um die Opfer des damaligen Präfekten des bischöflichen Knabenseminars Obermünster, Paul Mai. Nach Aussagen von Betroffenen habe dieser willkürliche und körperverletzende Prügelstrafen vollzogen. Im Gespräch mit regensburg-digital zeigte sich Paul Mai uneinsichtig und negierte ein gegen ihn bereits laufendes kirchenrechtliches Verfahren. 

Dr. Paul Mai ist ein höchstdotierter Monsignore und war wie der ebenfalls körperverletzende ehemalige Domkapellmeister Georg Ratzinger Kanonikus im Kollegiatsstift St. Johann Baptist (bis zu seinem Verzicht zum 01.03.2017). Bischof Voderholzer persönlich verabschiedete Paul Mai im Jahr 2014 in allen Ehren und mit viel Lob in den Ruhestand. Darüber hinaus gab es Täter, etwa leitende Domspatzen-Angestellte, die vor oder nach ihrer Domspatzenzeit in anderen kirchlichen Einrichtungen gewalttätig oder sexuell übergriffig wurden.

Opfer sexueller Gewalt zunächst ausgeblendet

Regensburg-Digital berichtete Anfang 2017 ausführlich über das damals angekündigte und nun erweiterte neue Projekt und kritisierte unter anderem die klammheimliche Art der Bekanntgabe und die Beschränkung auf den Strafbestand der Körperverletzung.

Was seinerzeit nicht vorgesehen war, hat Bischof Voderholzer nun nachgeholt: Er spricht im aktuellen Hirtenwort neben den so genannten Gewaltopfern auch jene an, die von sexuellen Übergriffen und Missbrauch betroffen sind. Da Voderholzer anscheinend davon ausgeht, dass diese Personen keine katholischen Gottesdienste (mehr?) besuchen, richtet er seine Bitte nicht direkt an die Betroffenen sondern an die Besucher des Gottesdienstes:

„Helfen Sie mit, dass alle, die in anderen kirchlichen Einrichtungen Opfer von Misshandlungen oder sexueller Gewalt geworden sind und die sich bislang nicht gemeldet haben, den Mut aufbringen, sich uns anzuvertrauen.“.

Laut dem Hirtenwort will der Bischof, dass auch diese Betroffenen Anerkennung und Gerechtigkeit erfahren würden, und ihnen geholfen werde.

„Als ob es keine Auseinandersetzung gegeben hätte“

Dass der indirekte Hirtenwort-Aufruf Voderholzers nun kurz nach dem Abschlussbericht von Rechtsanwalt Ulrich Weber kommt, ist sicherlich kein Zufall. Nach Informationen unserer Redaktion musste Weber während seinen zweijährigen Ermittlungen Betroffene sexualisierter und körperlicher Gewalt abweisen, wenn diese außerhalb der Einrichtungen der Domspatzen verübt wurde. Webers aktueller Bericht schweigt sich darüber aber absolut aus.

Wie im März 2010, als die Meldungen von sexuellen und körperverletzenden Übergriffen in kirchlichen Einrichtungen nicht verstummten, glaubt man im bischöflichen Ordinariat nun erneut, was es bis 2015 keineswegs erfüllen konnte: Das Vertrauen von möglichst allen Betroffenen zu gewinnen und die Aufklärung in Eigenregie zu leisten. Dass Voderholzer die Betroffenen aus kirchlichen Einrichtungen aktuell nicht direkt anspricht, keinen unabhängigen Rechtsanwalt beauftragt, keine externe Beratungsstelle für Betroffene einrichten lässt, ist nach der Domspatzen-Affäre ein desaströser Rückschritt. Udo Kaiser, der von 2016 bis 2017 im Beratungskuratorium von Rechtsanwalt Weber als Vertreter der misshandelten und missbrauchten Domspatzen saß, zeigt sich im Gespräch mit regensburg-digital entsetzt über das aktuelle Vorgehen Voderholzers: „Als ob es keine Auseinandersetzung gegeben hätte, wiederholt das Bistum dieselben Fehler“.

Kommentar: Unfähigkeit auf Kosten von Betroffenen

Haben Bischof Voderholzer und seine Gehilfen im bischöflichen Ordinariat tatsächlich aus den Fehlern gelernt, die die Aufklärungen der vielfältigen und weitreichenden Gewalt in den Domspatzen-Einrichtungen erst verhindert und dann verschleppt haben? Offenbar nicht. Das zuletzt via Rechtsanwalt Weber bei Betroffenen gewonnene Vertrauen wird mit dem unseligen Aufruf an die Gottesdienstbesucher gnadenlos zerstört.

Gleich nach der Vorstellung von Webers Abschlussbericht von letzter Woche erklärte Generalvikar Fuchs auf die freundliche Nachfrage des BR hin, die Diözese wolle sich nach den Domspatzen auch anderen, von sexualisierter Gewalt und Körperverletzung Betroffenen aktiv und planmäßig zuwenden, wenn es sich hierbei nicht nur „um Einzelfälle“ handle.

Eine Stunde vorher hat Rechtsanwalt Weber bei der Vorstellung seines Domspatzen-Aufklärungsberichts verdeutlicht, die Annahme des bischöflichen Ordinariats, es handle sich nur „um Einzelfälle“, habe den Blick auf die Bedingungen und Strukturen der Gewalt verstellt und somit eine tatsächliche Aufklärung nicht zugelassen. Dass Generalvikar Michael Fuchs eben diese unselige Annahme erneut bemühte, ist dumm und verhöhnt all jene erneut, die unter dem Täter wie Institution schützenden Ammenmärchen vom Einzelfall litten.

Hätte es noch eines Beleges dafür bedurft, dass der verantwortungsvolle Stuhl des Generalvikars mit Michael Fuchs falsch besetzt ist, in seiner neuerlich betroffenenfeindlichen Aufklärungsverhinderungspolitik wäre er zu finden.




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