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Warum Es Der Katholischen Kirche So Schwerfallt, Missbrauch Einzugestehen

By Matthias Drobinski
Sueddeutsche
July 26, 2017

http://www.sueddeutsche.de/panorama/missbrauch-in-der-katholischen-kirche-warum-es-der-katholischen-kirche-so-schwerfaellt-missbrauch-einzugestehen-1.3593107

Kardinal George Pell ist zuruck in seiner australischen Heimat; eine kurze Filmsequenz zeigt, wie er, von Singapur kommend, auf dem Flughafen von Melbourne von Polizisten und Sicherheitsleuten zu einer wei?en Limousine geleitet wird. Es hat ja nicht das Heimweh den 76-Jahrigen dazu gebracht, die lange Reise von Rom um die halbe Welt auf sich zu nehmen. Kardinal Pell, als Quasi-Finanzminister des Papstes einer der machtigsten Manner im Vatikan, soll an diesem Mittwoch vor einem Gericht in Melbourne Rede und Antwort stehen. Der Vorwurf: "historische sexuelle Ubergriffe".

Was damit gemeint ist, bleibt unklar. Seit einigen Jahren gehen immer wieder Manner an die Offentlichkeit und berichten, Pell habe sich an ihnen vergangen, als er Ende der siebziger Jahre Priester in Ballarat war, einer 80 000 Einwohner-Stadt nahe Melbourne. In seiner Zeit als Erzbischof von 1996 bis 2001 soll er au?erdem dazu beigetragen haben, Missbrauchsfalle zu vertuschen. Die australische Justiz halt die Vorwurfe fur schwerwiegend genug, um ein Verfahren einzuleiten. Und Papst Franziskus hat dem Kardinal die "Erlaubnis fur eine Auszeit" gegeben. Seine Amter in Rom ruhen.

Es ist kein Ende abzusehen im Skandal um den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche. Vor 15 Jahren brachten die Reporter des Boston Globe ans Tageslicht, wie der Priester John Geoghan Schuljungen sexuelle Gewalt antat und seine Kirchenvorgesetzten ihn deckten. Vor sieben Jahren gingen in Berlin die Opfer zweier Priester des Canisius-Kollegs an die Offentlichkeit und losten in Deutschland eine Welle der Enthullungen aus, in allen Bistumern, in Internaten wie in Ettal - oder eben bei den Regensburger Domspatzen. Der schonungslose Abschlussbericht, den nun der Rechtsanwalt Ulrich Weber vorgelegt hat, ist einer der Belege dafur, dass die katholische Kirche sich auf den fur sie schmerzhaften Weg der Aufarbeitung gemacht hat - nachdem anfangs viele Vertreter das Ausma? der Verfehlungen leugneten.

Das ist vorbei. Es gibt nun einige Untersuchungen, die sich der Frage nahern, warum es gerade in der katholischen Kirche so viele Falle sexueller Gewalt durch Priester und Kirchenmitarbeiter gab. Da war das Bild der heiligen Kirche, das nicht beschmutzt werden durfte, weshalb Tater gerauschlos versetzt und Opfer mundtot gemacht wurden. Da war der Mannerbund, in dem man komplizenhaft uber Zolibatsversto?e schwieg, war die Uberforderung der Patres in den Internaten. Da waren aber auch Eltern, die alle Hilferufe ihrer Kinder uberhorten und Klassenkameraden, die Teil des gewalttatigen Systems waren. Die katholische Kirche hat Opfer entschadigt. Sie hat Tater ihrer Amter enthoben, Praventionsprogramme aufgelegt - an der papstlichen Universitat Gregoriana gibt es nun ein eigenes Zentrum fur Kinderschutz. Manchmal hort man Kirchenvertreter grummeln: Jetzt konnte man mal die alten Geschichten zu den Akten legen.

In der kommenden Woche wird Kardinal George Pell, bislang einer der machtigsten Manner im Vatikan, von der australischen Polizei verhort. Der Vorwurf: Kindesmissbrauch. (Foto: Remo Casili/Reuters)

Der Fall des Kardinals Pell aber zeigt, dass dies auf absehbare Zeit nicht gehen wird. Pell beteuert seine Unschuld. Doch allein die Moglichkeit, dass er der hochstrangige verurteilte Missbrauchstater der katholischen Kirche werden konnte, ist eine Katastrophe fur Papst Franziskus, der sexuelle Gewalt von Priestern immer wieder aufs Scharfste verurteilt hat. Er machte Pell zum obersten Verwalter der Vatikanfinanzen, obwohl es seit Jahren Vorwurfe gab, er habe als Bischof Tater gedeckt. Der Betroffenen-Vertreter Peter Saunders nennt ihn "kalt, hartherzig und fast soziopathisch" und lasst sein Amt in der papstlichen Kinderschutzkommission ruhen, seine Mitstreiterin Marie Collins ist ganz ausgetreten, aus Protest gegen mangelnde Unterstutzung aus dem Vatikan.

Opfervertreter beklagen mangelnde Unterstutzung aus dem Vatikan

Aufarbeitung und Verdrangung liegen eng beieinander. Und immer wieder kommen neue Falle ans Tageslicht. In Trier zum Beispiel mussten Bischof Stephan Ackermann und sein Vorganger, der heutige Munchner Kardinal Reinhard Marx, Fehler im Umgang mit einem Priester einraumen, der immer wieder wegen Ubergriffen angezeigt, aber nie verurteilt wurde. Ausgerechnet Marx und Ackermann: Marx hat sich als Bischofskonferenzvorsitzender fur einen selbstkritischen Umgang mit dem Thema eingesetzt, Ackermann ist Beauftragter der Bischofskonferenz fur Missbrauchsfalle. Sie sind verantwortlich fur eines der weltweit bislang umfassendsten Projekte zur Erforschung von sexueller Gewalt im Bereich der katholischen Kirche.

Unabhangige Forscher der Universitaten Mannheim, Heidelberg und Gie?en wollen herausbekommen, wie viele Tater und Opfer es annahernd seit 1945 gegeben hat, wie die Kirche mit ihnen umgegangen ist, wie das Leben der Opfer und der Tater verlief. Sie flohen in neun Bistumern die Akten von Priestern seit 1946, in den anderen 18 Diozesen seit dem Jahr 2000; sie befragen in Tiefeninterviews Tater und Betroffene, vergleichen Praventionskonzepte und werten Studien aus.

Nur eine Minderheit der Tater ist tatsachlich padophil

Eines der ersten Ergebnisse: Das Projekt braucht mehr Zeit als geplant; gerade erst wurde es bis zum September 2018 verlangert. "Wir haben eine unglaubliche Fulle von Daten", sagt der Mannheimer Forensiker Harald Dre?ing, der das Projekt koordiniert. Jedes Bistum habe sein eigenes System bei den Personalakten gehabt, viele Akten seien "nicht mehr jungfraulich" - "wir werden wohl den Eisberg nie exakt vermessen konnen, wir werden aber viele belastbare Daten haben", so der Forscher.

Eines zeichne sich schon nach der Auswertung der bereits erschienenen Studien ab: Nur eine Minderheit der Tater in der katholischen Kirche ist tatsachlich padophil. Ihre Opfer sind uberwiegend mannlich, oft alter als zwolf Jahre. "Unreife, verdrangte Homosexualitat von Mannern, die sich in den Priesterberuf fluchten - das konnte schon ein Risikofaktor fur Missbrauch sein", sagt Dre?ing. Erschutternd sei auch, welch tiefe Spuren sexuelle Ubergriffe im Leben der Opfer hinterlie?en: "Es ist eine doppelte Traumatisierung - es zerbricht die sexuelle und die religiose Identitat, wenn ausgerechnet die Menschen, denen man sich anvertraut, einem Gewalt antun."

Aber er als Wissenschaftler liefere nur Daten, Fakten, Hypothesen. "Die Schlusse mussen andere ziehen."

 

 

 

 

 




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