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Nach Missbrauchanzeige Gegen Pfarrer Opfer Der Geruchtekuche

By Stefan Wette
WAZ
August 29, 2017

https://www.waz.de/region/rhein-und-ruhr/nach-missbrauchanzeige-gegen-pfarrer-opfer-der-geruechtekueche-id211750317.html

Missbrauch in der Kirche, ein Symbolfoto.

Ein 15-jahriger Dorstener zeigt seinen evangelischen Pfarrer wegen sexuellen Missbrauchs an. Seitdem ist er Opfer einer Geruchtekuche.

Dorsten, das sich „kleine Hansestadt an der Lippe“ nennt, gilt vielen als Idyll. Als Stadt, wo die Welt noch in Ordnung ist. Doch dieses Idyll kann auch die Holle bedeuten, wenn Konflikte nicht offen angesprochen werden. Die Familie eines 15-Jahrigen, der vom Pfarrer seiner evangelischen Gemeinde sexuell missbraucht worden sein soll, erlebt aktuell, wie die Geruchtekuche aus dem vermeintlichen Opfer einen Tater macht.

Denn dem Herrn Pfarrer – leutselig und beliebt – trauen viele eine solche Tat nicht zu. Und offen berichtet keine amtliche Stelle, was passiert ist.

Kirche beurlaubte den Pfarrer

Das landliche Dorsten im nordlichen Ruhrgebiet gilt als Stadt, wo jeder jeden kennt, jeder alles uber den anderen wei?. Auch deshalb brodelte die Geruchtekuche schnell, als Ende 2016 der Pfarrer, dessen engagierte Arbeit sogar Jugendliche aus anderen Gemeinden der Stadt anlockte, plotzlich sein Amt nicht mehr ausubte. Als krank galt er, als dienstunfahig. Erst spater horte man, er sei beurlaubt.

Schnell hie? es, der 60-Jahrige habe einen 15-Jahrigen, der sehr engagiert in der Gemeinde mitgearbeitet hatte, sexuell missbraucht. Aber ebenso schnell hie? es auch, der Pfarrer habe dem Jugendlichen bei einem Fest Bier verweigert und sei deshalb von diesem falschlich belastet worden.

Der 15-Jahrige ging mit seiner Mutter zur Polizei

Was ist tatsachlich passiert? Am 15. September ging der Jugendliche mit seiner Mutter zur Polizei und zeigte den Pfarrer an. Der habe ihn im Juni 2016 bei einer Gemeindefeier am Gesa? angefasst. Wenige Wochen spater habe der Pfarrer ihn trotz der vielen Leute bei einem anderen Gemeindefest erneut angefasst, habe seine Genitalien beruhrt. Zuerst sei er wie gelahmt gewesen, erzahlte der Jugendliche den Kripo-Beamten. Dann habe es gereicht. Er sei aufgestanden und gegangen. Den Vorfall hatten andere Gemeindemitglieder gesehen.

Das war im September. Die Kirche selbst, der sich der 15-Jahrige anvertraute, riet zur Anzeige. Juristisch lief dann alles so, wie es bei Sexualdelikten oft lauft. Um vor allem dem mutma?lichen Opfer einen offentlichen Prozess samt Konfrontation mit dem Beschuldigten im Gerichtssaal zu ersparen, handeln alle Beteiligten einen „Deal“ aus.

Gegen 2500 Euro Geldbu?e Verfahren eingestellt

So auch in diesem Fall. Das Strafverfahren wegen „sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen“ wird eingestellt. Dafur muss der Pfarrer „eine Wiedergutmachungszahlung von Euro 2500,00“ an den Teenager uberweisen, schreibt Rudiger Deckers, prominenter Dusseldorfer Verteidiger des Kirchenmannes, am 11. April 2017 an die Staatsanwaltschaft Essen. Und weiter betont Deckers fur den Pfarrer: Er „erklart, dass er sich dem Vorwurfsvorbringen“ des Jugendlichen „aus tatsachlichen Grunden nicht entgegenstellt“.

Rechtlich gilt der Pfarrer weiter als unschuldig. Es gibt keine rechtskraftige Verurteilung, er konnte das Einraumen jederzeit als „taktisches Gestandnis“ und damit als nichtig darstellen. Tatsachlich stellt Deckers gegenuber der WAZ sprachliche Feinheiten heraus: „Er hat die Tat eben nicht eingeraumt, will den Jungen aber nicht angreifen. Letztlich bleibt es offen.“

Staatsanwaltschaft ging von Gestandnis aus

Die Staatsanwaltschaft Essen nimmt das Schreiben des Verteidigers zum Anlass, das Strafverfahren nach §153a, Absatz 1 der Strafprozessordnung einzustellen. Sie erlautert diesen Schritt in einem Schreiben an das Opfer und interpretiert die Aussage des Pfarrers anders als der Verteidiger. Entscheidend sei, schreibt sie, dass er nicht vorbestraft ist und „das tatsachliche Geschehen eingeraumt hat“. Auch der Dorstener Rechtsanwalt Dirk Wolterstadt, der den 15-Jahrigen in der Nebenklage vertrat, sagt der WAZ, der Pfarrer habe die Tat zugegeben.

Doch von solchen Aussagen wei? die Dorstener Geruchtekuche nichts. Eine Gro?tante des Jungen erzahlt, mittlerweile werde gesagt, an den Vorwurfen sei nichts dran, weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt habe. An anderer Stelle ist zu horen, der Pfarrer habe gesagt, er sei sich keiner Schuld bewusst und werde „erhobenen Hauptes in meine Kirche zuruckkehren“. Fakt ist: Er wohnt weiter im Pfarrhaus. Nach au?en sieht es so aus, als stunde die Kirche hinter ihm. Vor allem darunter leide die Familie, sagt die Gro?tante: „Die Kirche lasst uns im Regen stehen. Keiner hat der Gemeinde gesagt, aus welchem Grund der Pfarrer nicht mehr am Altar steht.“

Die Kirche hat ein Disziplinarverfahren eingeleitet

„Das darf sie auch nicht“, sagt Jens Peter Iven, Sprecher der Evangelischen Kirche im Rheinland. Kein Arbeitgeber durfe solche Vorwurfe uber seinen Angestellten offentlich machen. Die Sorge der Familie konne er verstehen. Die Kirche habe aber oft mit ihr gesprochen.

Mit der strafrechtlichen Einstellung des Verfahrens finde sich die Kirche nicht ab, stellt Iven klar: „Trotz der Einstellung wird das Disziplinarverfahren gegen den Pfarrer fortgesetzt. Das Landeskirchenamt halt es weiterhin fur unumganglich, die Beurlaubung aufrecht zu erhalten.“ Es bedurfe „einer weitergehenden Aufklarung und gegebenenfalls Ahndung“.

Familienmitglieder aus der Kirche ausgetreten

Das Disziplinarverfahren kann dauern. Bis zum Abschluss, der naturlich auch einen „Freispruch“ mit sich bringen kann, darf der Pfarrer im Pfarrhaus wohnen. Sein Gehalt kassiert er weiter.

Die Familie des Jungen klagt auch uber einen Vertrauensverlust. Einige Mitglieder seien deshalb aus der Kirche ausgetreten. Fraglich, ob einmal der Wunsch des Jungen Wirklichkeit werden wird, den er bei der Polizei geau?ert hatte. Vorausgesetzt, er sagt die Wahrheit, durfte es ihm dabei nicht nur um die Enttauschung und Demutigung gegangen sein, sondern auch um die potenzielle Gefahr fur andere Jugendliche: „Ich will ihn auch nicht mehr in der Kirche sehen.“

 

 

 

 

 




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