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Collegium Josephinum: Wissenschaftliches Projekt Beendet

Archdiocese of Koln
September 13, 2017

https://www.erzbistum-koeln.de/news/Collegium-Josephinum-Wissenschaftliches-Projekt-beendet/

© Robert Boecker

Koln / Bad Munstereifel. Das wissenschaftliche Projekt zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch, physischer und psychischer Gewalt am Konvikt Collegium Josephinum in Bad Munstereifel hat seinen Endbericht vorgelegt. Wie Projektleiterin Prof. Dr. Claudia Bundschuh heute in Koln erlauterte, hat es an dem Konvikt, einer 1997 aufgegebenen Einrichtung fur Jungen, mindestens seit den 1950er Jahren wiederholt Gewalt gegen Minderjahrige in unterschiedlicher Form gegeben, einige Aussagen reichen sogar bis in die 1940er Jahre. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass „eine vergleichsweise hohe Zahl an Fachkraften“ ihre Macht missbraucht habe, „um die Befriedigung eigener Interessen und Bedurfnisse durchzusetzen. Es ist daher berechtigt, zumindest bis in die 1970er Jahre von einem ‚System des Machtmissbrauchs‘ zu sprechen.“

Kolns Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, sagte bei der Vorlage des Endberichtes: „Die Gewissheit, dass in Einrichtungen unseres Erzbistums uber viele Jahre jungen Menschen schlimmes Leid zugefugt wurde, noch dazu auch von Priestern, gehort zu den schwersten Erkenntnissen, mit denen ich in meinem bischoflichen Dienst umgehen muss, und erfullt mich mit gro?er Trauer.“

Das wissenschaftliche Projekt war 2015 auf Initiative von Betroffenen gestartet worden. Oberstes Ziel war es, Ehemaligen mit Gewalterfahrungen in ihrer jetzigen Lebenssituation hilfreich zu sein. Das Projekt war daher so angelegt, dass die Betroffenen mit ihren Anliegen und Interessen ma?gebend fur die Gestaltung des Projekts und des Endberichts waren. So erklarte die Autorin des Endberichts Prof. Dr. Claudia Bundschuh: „In diesem Endbericht reden die Ehemaligen selbst. Es ist kein Bericht uber Betroffene, sondern ein Bericht von den Betroffenen. Alle Ehemaligen mit Gewalterfahrungen kommen zu Wort. Sie leisten damit den entscheidenden Beitrag zur Bewusstmachung der Vielfalt, Folgen und Begunstigung von Gewalthandlungen im Konvikt.“ Finanziert wurde das wissenschaftliche Projekt, das bereits unter dem inzwischen verstorbenen Kolner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner begonnen wurde, vom Erzbistum Koln.

Seit Beginn des Projektes haben rund 100 Ehemalige des Konvikts schriftlich oder mundlich ihre Erfahrungen mitgeteilt. Das Datenmaterial umfasste nach Abschluss der Interviewphase rund 1.000 Seiten. Die Mehrzahl der Mitwirkenden hat Gewalt erlebt oder als Zeuge miterlebt. Diese Gruppe der Ehemaligen bewertete selbst erlebte oder beobachtete Gewalt als dominantes Merkmal des Umgangs der Fachkrafte mit den Jungen, das ihren Lebensalltag im Konvikt pragte. Eine kleinere Anzahl von Mitwirkenden beschrieb altersgerechte Fursorge und (weitgehende) Gewaltfreiheit als zentrale Merkmale des eigenen Aufenthalts. Diese Ergebnisse lassen keinen Schluss zu uber die tatsachliche Anzahl von Gewaltopfern im Collegium Josephinum Bad Munstereifel und uber das Verhaltnis von Ehemaligen mit und ohne Gewalterfahrungen. Sie geben jedoch hinreichend Grund zur Annahme, dass im Umgang der Fachkrafte mit den Kindern und Jugendlichen im Konvikt uber die Jahrzehnte ein Wandel stattgefunden hat, der Ehemaligen in der letzten Epoche des Konvikts bis zur Schlie?ung zugutekam. Hilfs- und Beratungsangebote, wie sie in den vergangenen Jahren angeboten und entwickelt werden konnten, zeigten sich auch als hilfreich bei der Bewaltigung des Erlebten.

Zur Qualitatssicherung wurde das Projekt begleitet von einem Lenkungsausschuss unter der Leitung der Justitiarin des Erzbistums Koln, Dr. Daniela Schrader. Die Beauftragung von Prof. Dr. Claudia Bundschuh erfolgte auf Empfehlung des Arbeitsstabes des Unabhangigen Beauftragten fur Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rorig. Neben Prof. Dr. Bundschuh sowie Prof. Dr. Werner Becker, Gisbert Schneider und einem weiteren Vertreter der Betroffenen arbeitete Prof. Dr. Arnfried Bintig, emeritierter Professor fur Klinische und Rechtspsychologie an der Sozialwissenschaftlichen Fakultat der Fachhochschule Koln, im Lenkungsausschuss mit. Die operative Projektleitung lag bei der Rechtsanwaltin und Mediatorin Dr. Bettina Janssen. Fur das Erzbistum Koln nahm weiterhin Pressesprecher Christoph Heckeley am Ausschuss teil.

Anliegen vieler Betroffener war, fur ihre Situation und ihre Erfahrungen Gehor zu finden und die Tragweite der personlichen Gewalterfahrungen anerkannt zu bekommen. Als weitere Wunsche wurden sichtbare Konsequenzen aus den Erkenntnissen des Berichtes gefordert, die sich nach Ansicht der Betroffenen in der kirchlichen Schul- und Erziehungsarbeit, der Priesterausbildung und der Sexuallehre zeigen mussen.

Kardinal Woelki betonte die Folgen des Berichts fur die Zukunft: „Das zu Tage gebrachte Versagen auf Seiten des schulischen und kirchlichen Systems muss fur uns Anlass dafur sein, selbstkritisch alles zu prufen, was die Verbrechen begunstigt hat. Solche Verbrechen durfen in unseren Einrichtungen nie wieder begangen werden. Wir tun alles, sie zu verhindern.“

Zu den berichteten Gewalttaten zahlen sexuelle Ubergriffe, sexueller Kindesmissbrauch bzw. Missbrauch von Schutzbefohlenen, Erziehungsgewalt durch Ohrfeigen, Misshandlung z. B. durch Faustschlage und Tritte sowie durch psychische Gewalt, etwa durch verbale Demutigungen und Abwertungen. Diese Erfahrung beeintrachtigt manche Betroffene bis in die Gegenwart schwer. Nach ihren Schilderungen wurden sieben Fachkrafte, die mit einer Ausnahme alle Priester im Konvikt waren, namentlich der Ausubung von sexueller Gewalt beschuldigt. Die Erscheinungsformen reichten von sexuellen Ubergriffen unterhalb der Strafbarkeit bis zu sexuellen Handlungen, die nach heute geltendem Recht als sexueller Kindesmissbrauch (§ 176 StGB) bzw. Missbrauch von Schutzbefohlenen (174 StGB) mit Strafen belegt wurden. Zur geschilderten physischen Gewalt gehorten u. a. Misshandlungen durch Schlage mit Gegenstanden oder Tritte, Zuchtigungen mit nachhaltigen Verletzungen und Erziehungsgewalt in Form von Ohrfeigen. Hier wurden zwolf Fachkrafte namentlich beschuldigt, vier waren Priester, einer gehorte nicht zum Personal des Konvikts.

Schilderungen der ehemaligen Leitungspersonen machen deutlich, dass es seitens des Tragers, des Erzbistums Koln, keine Vorgaben fur die Erziehungs- und Bildungsmethoden der Jungen im Konvikt gab; zudem fehlen Hinweise darauf, dass der Trager die Praxis im Konvikt kontrolliert bzw. auf der Basis von Qualitatsstandards uberpruft hatte.

Der Bericht stellt einen Bezug zu der damaligen gesellschaftlichen Situation her, weil beispielsweise korperliche Zuchtigung von Kindern und Jugendlichen in fruheren Jahrzehnten gangige oder gar tolerierte Erziehungspraxis gewesen ist. Dies darf jedoch ausdrucklich nicht als Entschuldigung gewertet werden: Politische oder kulturelle Akzeptanz von Gewaltausubung hat keinen Einfluss auf das Erleben von Gewalt. Es ist folglich psychologisch und ethisch nicht vertretbar, Betroffenen aus fruheren Zeiten unter Bezug auf damals herrschende gesellschaftliche Rahmenbedingungen eine Wurdigung ihrer Opfererfahrungen abzusprechen.

Fur das Verstandnis der Auswirkungen von Sozialisationserfahrungen im Konvikt sind auch die Berichte der tertiar Betroffenen eine wertvolle Hilfe. Darunter versteht der Bericht Personen, die u.a. durch gesellschaftliche Reaktionen auf Gewalttaten an anderen Personen beeintrachtigt worden sind. Ihre Schilderungen, insbesondere mit Aufenthalt in den 1980er und 1990er Jahren, machen deutlich, dass Erziehung und Bildung in einer Einrichtung wie dem Konvikt zielfuhrend ist, wenn sie den kindlichen und jugendlichen Bedurfnissen entsprechen: Gewaltfreiheit, Zuwendung, individuelle Forderung und Wertschatzung der kindlichen und jugendlichen Personlichkeit haben hier nachhaltige Auswirkungen in positiver Weise gezeigt. Die Ausfuhrungen der tertiar Betroffenen verdeutlichten im Rahmen der wissenschaftlichen Aufarbeitung, dass es ehemalige Schuler gibt, die keine korperliche und sexualisierte Gewalt im Konvikt erfahren oder beobachtet haben.

Der Endbericht zum wissenschaftlichen Projekt wird als Buch im Verlag Katholisches Bibelwerk der Deutschen Bischofskonferenz in den Handel kommen, um eine moglichst hohe Transparenz und Zuganglichkeit der Ergebnisse zu sichern.

Erkenntnisse des Berichts werden in den kommenden Monaten au?erdem in verschiedenen Gremien des Erzbistums Koln vorgestellt und unter anderem mit den Verantwortlichen in der Priesterausbildung, der Schul- und Hochschularbeit sowie der Seelsorge diskutiert werden.

Mit dem Endbericht ist der umfangreiche Komplex an Themen und Herausforderungen somit explizit nicht zu den Akten gelegt. Auch in der Folge sollen Betroffene zu einer Mitwirkung an der Aufarbeitung ermutigt werden. Betroffene konnen sich weiterhin per Mail uber info@pro-cj.de melden.

Auf Basis der Aussagen von Betroffenen hat das Erzbistum mehrere Verfahren entsprechend den Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz eingeleitet. Wenn sich zusatzliche Erkenntnisse aus weiteren Meldungen ergeben, wird das Erzbistum die Wiederaufnahme auch bereits geschlossener Verfahren prufen.

Weitere Informationen zum Projekt: www.pro-cj.de. Der Endbericht ist online verfugbar unter www.pro-cj.de oder www.erzbistum-koeln.de. Der Endbericht kann in gedruckter Form bestellt werden unter www.bibelwerk.de/abschlussbericht

 

 

 

 

 




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