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Der Padophiliefall „anneke“ in Belgien

By Ferdinand Boischot
Katholisches: Magazin fur Kirche und Kultur
October 3, 2017

http://www.katholisches.info/2017/10/vor-20-jahren-der-paedophiliefall-anneke-in-belgien/

Anneke war ein leicht geistig behindertes Madchen aus Westflandern (Belgien), 8 Jahre alt, das in die Sonderschule St. Idesbald der karitativen Kongregation Broeders van Liefde (Bruder der Liebe) in Roeselare zur Schule ging.

Der Fall „Anneke“

In November 1995 merkte ihre Mutter (Frau Ria C.) plotzlich schwere Verhaltensauffalligkeiten. Anneke wurde sehr traurig, grundlos aggressiv gegenuber ihren Geschwistern, hatte Unterleibsschmerzen, bekam eine Vaginitis, litt plotzlich unter Bettnassen und hatte ausgepragte Angst vor der Schule.

Das Madchen wurde arztlich und psychologisch untersucht, ohne Anhaltspunkte fur eine innere Krankheit oder familiale Storungen.

Anneke wurde in den nachsten Wochen noch verstorter und angstlicher und fing plotzlich an, ihre Mutter immer wieder uber den Phallus zu befragen. Ihre Mutter wurde hellhorig.

Anneke vertraute sich ihrer Mutter an. Bei einem Gang uber den Schulhof, an der Hand der Mutter, zeigte sie eindeutig den 78-jahrigen Bruder Emiel Ceustermans, als Ubeltater an.

Ceustermans war im Alter von 12 Jahren als „Juvenist“ zur Kongregation gekommen. Er trat der Ordensgemeinschaft bei und war langjahriger Erzieher in den Sonderschulen der Broeders van Liefde. 1993 ging er in den Ruhestand und arbeitete als Gartner an der Schule des MPI (Medizinisch-Psychologisches Institut) St.-Idesbald in Roeselare.

Die Mutter nahm sofort Kontakt mit dem Schuldirektor, Broeder Herman, auf, der abwimmelte. Der Direktor speiste die Mutter ab mit der Aussage: „Liebe Frau, Kinder fantasieren und die Eltern fantasieren mit“.

Die tapfere Mutter benachrichtigte daraufhin die Polizei. Die Kriminalpolizei BOB (Belgische Opsporingsbrigade) fing an zu ermitteln.

Fast sofort stie?en sie auf intensiven padophilen Mi?brauch, zentriert um 3 Mannern, mit gewaltiger Vertuschung und Drangsalierung.

Die drei der Padophilie verdachtigen Bruder wurden in den darauffolgenden Wochen in andere Einrichtungen des Ordens versetzt.

Am 15. April 1996 erstattete die Mutter Anzeige gegen Bruder Emiel Ceustermans wegen padophilen Mi?brauchs.

Einen Tag spater, am 16. April 1996, bekam der ermittelnde Kriminalpolizist (BOB) Geert van Fleteren einen ominosen Telefonanruf, der protokolliert wurde. Der Provinzialobere der Broeders van Liefde fur Westflandern, Fr. Rene Stockman, rief an und fragte:

“Ob es wohl notig ist, da? es untersucht wird und ob es nicht moglich ware, die Sache still zu halten…

… (ich) finde es nicht opportun, einen so alten Mann zu befragen, weil es zu stressierend ist…

Der Bruder wird an eine andere Schule versetzt…

… mit der Mutter gesprochen … mit einer Bezahlung wurde alles geregelt werden … Das Einschalten der BOB versto?t gegen unsere Abmachung.“*

*N.B. Gelogen. Eine solche Verabredung fand nie statt.

Der Kriminalpolizist war sprachlos: So einen platten Beeinflussungsversuch in einem schwerwiegenden und au?erst sensiblem Fall hatte er noch nicht erlebt. Tonbandaufzeichnungen haben diese Aussagen einwandfrei dokumentiert.

In den folgenden Monaten kam die Schule nicht mehr zur Ruhe.

Eines Nachts stand auf der Zimmertur eines involvierten Bruders mit Farbe geschrieben:

„Fieser Schmutzkerl, bleib mit deinen Pfoten von meinem Leib.“

Am nachsten Morgen wurde die Tur ausgewechselt – mit vielen Augenzeugen.

Zeitgleich detonierte in Flandern der Roeach3-Skandal (Buch fur den Religionsunterricht mit zur Padophilie anstiftenden Abbildungen), der padophile Massenmi?brauch in „Tordale“ (bei Torhout, Westflandern), die Affaire-Dutroux (Kindesentfuhrung, Kindermi?brauch und Mord an Kindern, wobei ein gewaltiges Netz mit vielfaltigen politischen und finanziell-wirtschaftlichen connexions entdeckt wurde- niemals genau aufgeklart) und der Brusseler Padophilieskandal Roger Borremans (wo Kardinal Danneels unter schwerstes Feuer geriet und sich nur in letzter Sekunde retten konnte, indem er seinen Weihbischof Lanneau zur Ablenkung als Sundenbock opferte).

Vertuschung funktioniert am Besten mit Einschuchterung.

Die Mutter bekam abmahnende und recht schnell auch drohende Briefe von den Broeders van Liefde.

Sehr raffiniert auch die Kontaktaufnahme durch andere „Katholiken“:

„Die Broeders van Liefde? Liebe Frau, womit legst Du dich da an?“

„Sie verstehen, da? ich nichts sagen kann. Meine Frau arbeitet an einer katholischen Einrichtung.“

Zweimal von unterschiedlichen Personen vor Gericht zitiert:

„Wir sagen nichts. Wir haben mit den Broeders van Liefde schon genugend Elend („miserie“) gehabt“.

Die karitative Kongregation der Broeders van Liefde zahlte damals etwa 300 Mitglieder (2010: 280), beschaftigte jedoch 8000 (achttausend) Angestellte und hat(te) auf dem Gebiet der Behindertenschulung und -unterbringung ein Quasimonopol.

Die Polizeiakten dokumentieren dies explizit:

„Die Laien konnen nicht frei sprechen“

Zwei Erzieherinnen andern „wegen delikater Grunde“ ihre Aussage zum Vorteil des Beklagten.

Ein Anonymus auf seine Zuruckhaltung angesprochen: „Wir sind verletzbar“.

„Die Interessen der Einrichtungen und der Kongregation kommen an erster Stelle.“

In Mai 1998 erhebt die Kongregation der Broeders van Liefde Klage gegen die BOB (Kriminalpolizei) – „in verzogernder Absicht“, wie der Procureur-Generaal (Oberstaatsanwalt) bemerkt.

Am 11. Oktober 1999 verurteilt das Strafgericht Kortrijk Broeder Emiel Ceustermans (inzwischen 83 Jahre alt) zu 4 Jahren Gefangnis, davon 2 Jahre ohne Bewahrung.

Zwei andere Bruder werden freigesprochen.

Aus dem Gerichtsurteil:

„Aus den Akten geht hervor, da? durch den Direktor des Orthopadagogisch-padiatrischen Zentrums St. Idesbald nach der Klageerhebung der Mutter des Opfers sehr unwirsch reagiert wurde; und da? danach nicht wenige Versammlungen stattgefunden haben mit Fuhrungs- und Unterrichtspersonal; hier wurde deutlich Druck ausgeubt in Bezug auf die abzugebenden Erklarungen.

Dies wurde auch durch mehrere Befragten erklart und in der weiteren Untersuchung durch die Erklarungen und Auskunfte der protokollierenden Beamten bestatigt.“

Kurz danach starb Broeder Emiel Ceustermans.

Die Broeders van Liefde gaben jedoch nicht auf. Die Kongregation ging in Berufung.

Der Fall „Anneke“ fing an hohe Wellen zu schlagen.

Am 21. November 2000 berichtete das flamische Magazin Humo als erstes Presseorgan uber diesen Padophilieskandal und die unsagliche Haltung der Kongregation der Broeders van Liefde.

Am 30. November 2000 spricht der Berufungsrichter Francis Desterbeck den Broeder Emiel Ceustermans in Gent frei mit der Begrundung: „…da?, was das behinderte Madchen erklart, doch alles sehr unwahrscheinlich klingt…“ (sic).

Der Gerichtspsychiater Deberdt: „Es ist unwahrscheinlich, da? er [Ceustermans] auf seine 80. Lebensjahre mit Padophilie anfangt.“

Tatsachlich gibt es schon Hinweise darauf seit den 60er Jahren.

Die christlich-demokratische und belgizistische Ausrichtung und politische Einbettung der Kongregation (die belgische Gerichtsbarkeit wurde damals nach politischem Einflu? und Parteizugehorigkeit besetzt, sog. „Versaulung“) gab schlu?endlich den Ausschlag.

Staatsanwalt Willaert aus Kortrijk:

„Wir durfen keine Kritik an unsere hierarchische Vorgesetzten au?ern.“

Der Epilog

In den darauffolgenden Jahren versank die katholische Kirche im niederlandischsprachigen Teil Belgiens immer tiefer im Sumpf von Padophilie und Homophilie, Kriminalitat und Lugen.

Von 1998 bis 2004 wird Belgien kontinuierlich durch den Prozess der Padophilie-und Kindermord-Affaire Dutroux gequalt.

Die Ermittlungen bringen die Involvierung von nicht wenigen hohen politischen und kirchlichen Wurdentragern ans Licht (bzw. ans Nebellicht).

Der stumperhafte juristische Umgang mit diesem Fall bringt die Gemuter der anstandigen Bevolkerung in Wallung.

1998 bis 2002 gerat Kardinal Godfried Danneels himself, durch Mitwissen und Vertuschung von Fallen von padophilen Priestern (Vanderlijn und Robert Borremans), unter direkten Verdacht und kann sich nur durch das Selbstopfer seines Weihbischofs retten.

Das Ansehen Danneels‘ in Belgien ist seitdem schwerst beschadigt.

Die Verurteilung von Robert Borremans erfolgt in mehreren Prozessen zwischen 2003 und 2005.

2002 werden in dem Massenmi?brauchsfall im Heim „Tordale“ (gefuhrt von einer anderen Kongregation, den Broeders van Dale/Torhout, Westflandern, Bistum Brugge) drei Tater (zwei davon „Broeder“) zu sehr hohen Gefangnisstrafen und zusammen mit ihrer Kongregation zu fur damalige Bestimmungen sehr hohen Entschadigungszahlungen verurteilt.

Die Kongregation der Broeders van Dale ist seither am Erloschen.

Westflandern (Bistum Brugge), einst eine christlich-demokratische und katholische Bastion, zerbroselt.

2003 verliert die niederlandischsprachige christdemokratische Partei CD&V die Bundeswahl. Zum ersten Mal nach 130 Jahren sitzt sie nicht mehr in der Regierung. Liberale und Sozialisten bilden zusammen eine freimaurerdominierte Regierung.

Die katholische „Saule“ in Belgien pulverisiert sich. Die kirchliche Hierarchie richtet es sich sofort mit den neuen Machthabern, und das Volk unten bleibt richtungslos zuruck.

2005 wird beim Konklave Joseph Kardinal Ratzinger, der als Chef der Glaubenskongregation schon seit 1995 intensiv die Padophilie in de Kirche bekampft, zum Papst Benedikt XVI. gewahlt.

Einer seiner gro?en Gegenspieler, Kardinal Danneels (er hatte sich „Johannes XXIV.“ genannt), der seit uber 15 Jahren bis uber die Ohren in Padophilie- und Sexskandale verwickelt ist, verla?t nach der Konklave wutend Rom sofort.

2006 wird Rene Stockman, der Provinzialobere von Westflandern, Generaloberer der Kongregation Broeders van Liefde und verschwindet nach Rom. Seine Anwesenheit in Flandern war nach dem Fall „Anneke“ unhaltbar geworden.

2010 wird der jahrelange padophile Mi?brauch des Bischofs von Brugge, Roger Vangheluwe offentlich bekannt: Dieses Erdbeben erschuttert die Kirche in Flandern bis in die Fundamente und findet weltweit Nachhall.

Danneels wird in flagranti des Mitwissens und der Vertuschung uberfuhrt.

Bei der ab 2010 aufgezwungenen Untersuchung und Aufarbeitung der Padophilie in der belgischen Kirche blamiert sich die Kongregation die belgische Ordensprovinz der Broeders van Liefde bis auf die Knochen durch Mauern, Verzogern und gewaltigen Geiz bei der Entschadigung der Opfer.

Sie la?t jeglichen moralischen und ethischen Anstand vermissen.

Der im selben Jahr neuernannte Primas von Belgien, Erzbischof Leonard, zwingt den Orden der Broeders van Liefde, wo die Mehrzahl der Mi?brauchsfalle von Belgien stattgefunden hat, zu schonungsloser Aufklarung und Wiedergutmachung.

2011 wird unter den Augen der Medien der erzbischofliche Palast in Mechelen von der Gerichtspolizei gesturmt, die dort versammelten Bischofe festgesetzt und alle Akten der innerkirchlichen Mi?brauchskommission Adriaensens beschlagnahmt.

Die staatliche Justiz ermittelt und verfolgt selbstandig: Von den ca. 1000 Fallen in Belgien werden mehr als 500 vor den weltlichen Gerichtsorganen behandelt; in etwa 300 Fallen kommt es zu au?ergerichtlichen Einigungen zwischen Opfern und kirchlichen Institutionen.

Die Kirche in Nordbelgien hat jegliches moralisches Ansehen verloren und liegt am Boden.

2013, nach dem Rucktritt von Papst Benedikt XVI., steht eine Stunde nach der Wahl von Franziskus Kardinal Danneels als einer von wenigen Personen mit dem frischgewahlten Papst auf der Loggia des Petersdomes.

Die alten Kameraden sind wieder da.

2014 versucht der Bischof von Brugge, Jozef De Kesel, fruherer langjahrige Weihbischof und enger Freund von Kardinal Danneels, einen mehrfach ruckfalligen, padophilen Priester wieder in die Seelsorge einzuschleusen (Fall Flavez). In den folgenden Wochen detonieren im Bistum Brugge noch weitere funf Falle.

Sion desolata.

Januar 2016 ernennt Papst Franziskus den Bischof von Brugge und Danneels‘ Freund, Josef De Kesel, zum neuen Erzbischof von Mecheln-Brussel. Der bisherige Erzbischof Andre-Joseph Leonard wird von ihm emeritiert und zieht sich als Hilfsvikar an einen Marienwallfahrtsort in die franzosische Alpen zuruck.

Beim Konsistorium am 28. Juni 2016 gibt Papst Franziskus Erzbischof De Kesel das Pallium und das Purpurbiret. Am Abend la?t der frischkreierte Kardinal De Kesel sich in den Vatikanischen Garten mit Broeder Rene Stockman, Generaloberer der Broeders van Liefde und „hochster Belgier im Vatikan und guter Freund von Papst Franziskus“ (die Website www.kerknet.be der belgischen Bischofe), und dem belgischen Botschafter bei dem Hl. Stuhl, stolz photographisch ablichten.

Anneke ist inzwischen drei?ig Jahre alt, und es geht ihr gut.

Ob sie je eine Entschadigung bekam, ist nicht bekannt.

Es ist jedoch unwichtig: Almosen konnen Perversitaten und Greueltaten nicht reparieren.

Anneke hat jedoch die Gewi?heit und die Sicherheit, da? ihre Mutter ihr stets vertraut hat und ungemein tapfer wie eine Lowin kampfend, gegen eine Mafia verteidigt hat.

Einfache „kleine“ Menschen und in dieser gewaltigen Bewahrungsprobe trotzdem gro?artig.

Praemia pro validis.

Sub tuum praesidium.

Text: Ferdinand Boischot

Bild: MiL/Broeders van Liefde (Screenshots)

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