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Forscher Setzen Kirche Im Missbrauchsskandal Unter Druck

Radio Bamberg
September 25, 2018

https://www.radio-bamberg.de/missbrauchsstudie-der-katholischen-kirche-fehlt-transparenz-6878496/

Eine erschutternde Studie uber jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen bringt die katholische Kirche in Deutschland unter Reformdruck.

Die in Fulda vorgestellte Untersuchung zeigt nicht nur die erheblichen Verfehlungen katholischer Kleriker in den vergangenen Jahrzehnten auf, sondern benennt auch problematische Strukturen, die Missbrauchsfalle auch heute begunstigen konnten. Der Leiter der Studie, Harald Dre?ing, betonte, die Missbrauchsthematik sei daher keineswegs uberwunden. «Das Risiko besteht fort», sagte er.

Die Studie ergab unter anderem, dass zwischen 1946 und 2014 mindestens 1670 katholische Kleriker 3677 meist mannliche Minderjahrige missbraucht haben sollen.

Zum fortbestehenden Risiko sagte Dre?ing, Grunde dafur konnten beispielsweise der Missbrauch der ausgepragten klerikalen Macht, die Verpflichtung der Priester zur Ehelosigkeit (Zolibat) sowie ein innerkirchlich «problematischer Umgang» mit dem Thema Sexualitat sein – vor allem mit der Homosexualitat. Der forensische Psychiater vom Zentralinstitut fur Seelische Gesundheit in Mannheim betonte, wenn die Kirche die Missbrauchsthematik in Zukunft wirklich uberwinden wolle, dann musse sie sich mit diesen Themen «ernsthaft und mit dem Mut zur Veranderung» befassen.

Angesichts einer enormen Dunkelziffer seien die nun ermittelten Zahlen und Quoten allenfalls «die Spitze eines Eisbergs». Dre?ing beklagte einen mangelnden Aufklarungswillen in weiten Teilen der Kirche. Das Ausma? des Missbrauchs als auch «der Umgang der Verantwortlichen damit» sei «erschutternd» gewesen. In Kirchenakten habe man Hinweise auf den sexuellen Missbrauch von Minderjahrigen bei 4,4 Prozent aller Kleriker gefunden, die zwischen 1946 und 2014 tatig gewesen seien und uber die Akten vorgelegen hatten, sagte Dre?ing.

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, sagte, man musse die von den Forschern genannten Strukturfragen beantworten. Machtansammlung, die nicht kontrolliert werde, konne «moglicherweise Menschen in Versuchung fuhren». Der Munchner Kardinal betonte zugleich, die Forscher hatten bestatigt, dass der Zolibat und Homosexualitat «fur sich genommen» keinen Missbrauch hervorriefen, «aber sie konnen Teil eines Gesamtproblems sein. Und das muss man angehen, das werden wir diskutieren».

Marx hatte am Montag angedeutet, dass die Bischofe im Laufe der Woche bei ihrer Herbst-Vollversammlung in Fulda auch uber mogliche Strukturanderungen in der Kirche beraten wollten – die Studie sorge fur «einen Wendepunkt». Er konstatierte: «Viele Menschen glauben uns nicht mehr. Und ich habe dafur Verstandnis.» Details moglicher Reformen nannte er nicht – er sagte nur: «Wir mussen, was die Pravention und die Auswahl der Priester angeht, neue Wege gehen.»

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte, die Studie musse Ausgangspunkt einer «schonungslosen Aufklarung» sein. Justizministerin Katarina Barley (SPD) forderte, die Kirche musse jede Tat anzeigen. «Der Rechtsstaat kann nur funktionieren, wenn ihm Taten gemeldet werden.» Im Jahr 2010 hatten die katholischen Bischofe in diesem Zusammenhang bereits ihre Vorschriften verscharft, seither wird nach Kirchenangaben automatisch bei jedem Verdacht auf sexuellen Missbrauch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Die Anzeigepflicht entfalle nur, wenn das Opfer dies ausdrucklich wunsche, hei?t es.

Marx sagte, allzulange sei in der Kirche «Missbrauch geleugnet, weggeschaut und vertuscht» worden. «Fur dieses Versagen und fur allen Schmerz bitte ich um Entschuldigung.» Er schame sich «fur das Vertrauen, das zerstort wurde; fur die Verbrechen, die Menschen durch Amtspersonen der Kirche angetan wurden». Und er empfinde Scham fur «das Wegschauen von vielen».

Kritiker bemangelten, der tatsachliche Umfang des Missbrauchs in der katholischen Kirche habe in der Studie nicht annahernd abgebildet werden konnen. Den Autoren der vor viereinhalb Jahren von der Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen Untersuchung sei etwa kein Zugang zu Originaldokumenten in den Kirchenarchiven eingeraumt worden. Zudem fehlten Aussagen von Opfern, auch seien Missbrauchsfalle etwa in katholischen Heimen, Anstalten und Psychiatrien oder in den zahlreichen Ordensgemeinschaften nicht berucksichtigt worden.

Obendrein werden in der Studie keine Namen genannt. Auch auf einzelne Bistumer runtergebrochene Zahlen gibt es nicht – aus vertraglichen Grunden, wie Dre?ing sagt. Der Kriminologe Christian Pfeiffer bezeichnete dieses Vorgehen der Bischofe in der «Passauer Neuen Presse» als «organisierte Verantwortungslosigkeit». Die Studie sei zwar exzellent aufgearbeitet. «Aber das Entscheidende fehlt: Wir wissen nicht, wer die Verantwortlichen sind.»

Angesichts des Skandals werden Forderungen nach einer staatlichen Untersuchungskommission und erheblich hoheren Entschadigungszahlungen fur die Missbrauchsopfer laut. Der bei der Bischofskonferenz fur Missbrauchsfragen zustandige Trierer Bischof Stephan Ackermann sagte, man stelle das Anerkennungsverfahren fur Opfer «auf den Prufstand». Zuruckhaltender au?erte sich Marx zur Idee, die weitere Aufarbeitung der Missbrauchsfalle staatlichen Behorden zu ubergeben. Er halte weitere Untersuchungen fur notig – allerdings sollten diese Untersuchungen von den einzelnen Bistumern in Auftrag gegeben werden.

 

 

 

 

 




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