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Bistum Regensburg zwischen „Lug und Trug“ und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen

By Robert Werner
Regensburg Digital
October 29, 2018

https://www.regensburg-digital.de/bistum-regensburg-zwischen-lug-und-trug-und-staatsanwaltschaftlichen-ermittlungen/29102018/


Generalvikar Michael Fuchs gehört seit Jahren zu den Verharmlosern.

An seinem Vorgänger Müller (li.) übt Voderholzer kein Wort der Kritik.

Es geht um den Schutz der Institution Domspatzen, nicht um grundsätzliche und umfassende Aufklärung.

[Diocese of Regensburg between "lies and deceit" and prosecutorial investigations]

Eines hat die Ende September veröffentlichte MHG-Studie deutlich gemacht: Sexueller Missbrauch durch katholische Geistliche ist nicht mit sündig gewordenen Einzelnen zu erklären. Die katholische Kirche sieht sich vielmehr mit grundsätzlichen Fragen zu ihren missbrauchsbegünstigenden und –vertuschenden Strukturen konfrontiert. Während in Regensburg die Staatsanwaltschaft in der Folge der Studie Vorermittlungen aufgenommen hat, soll ein Vertreter des Bischofs von „Lug und Trug“ gesprochen haben.

Betroffen und irgendwie einsichtig – so waren die ersten Reaktionen der deutschen Bischöfe auf die von ihnen in Auftrag gegebene MHG-Studie zu sexuellem Missbrauch durch Geistliche (die aus 38.156 Diözesenakten 1.670 Beschuldigte und  3.677 Betroffene ermittelte). In einer entsprechenden Presseerklärung etwa war die Rede von „schockierenden Ergebnissen“, einer „Verantwortung zu verstärktem Handeln“ und der „Pflicht, den Betroffenen Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen.“ Angesichts des von der Studie auch aufgezeigten „institutionellen Versagens“ hieß es weiter: „Wir Bischöfe stellen uns dem Ernst der Stunde.“

Konsequenzen gab es bislang allerdings nicht, kein Bischof wurde zur Rechenschaft gezogen, kein vertuschender Generalvikar trat zurück.

Vielfältige Absichtserklärungen

Stattdessen folgten vielfältige Absichtserklärungen. Man verpflichte sich zu folgenden zeitnah umsetzenden Schritten: die in den Bistümern noch anstehenden Aufarbeitungsprozesse wolle man mit „Hilfe der Betroffenen sowie externer Fachleute“ angehen; die Führung der Personalakten der Kleriker solle standardisiert werden; unabhängige externe Anlaufstellen „für Fragen sexuellen Missbrauchs“ sollen eingerichtet werden, ebenso „ein verbindliches überdiözesanes Monitoring für die Bereiche der Intervention und der Prävention.“

Man wolle klären, „wer über die Täter hinaus institutionell Verantwortung für das Missbrauchsgeschehen in unserer Kirche getragen hat.“ Die „Fragen nach der zölibatären Lebensform der Priester“ und verschiedene Aspekte der katholischen Sexualmoral wolle man „in einem transparenten Gesprächsprozess erörtern“.

Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs zeigte sich in einer Stellungnahme enttäuscht von dieser Ankündigung der Bischöfe. Deren „vage Erklärung“ würden „dem in der Studie aufgedeckten Ausmaß sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen und den Dimensionen des Vertuschens innerhalb der katholischen Kirche nicht gerecht“. Die Erklärung wirke halbherzig und zeuge „nicht von einer eindeutigen Verantwortungsübernahme.“ 

Die an die Bischöfe gerichtete Kritik zielt auch auf die Generalvikare der 27 deutschen (Erz-)Diözesen. Diese trafen sich Mitte Oktober, um sich mit möglichen Konsequenzen aus MHG-Studie zu befassen. Dabei kam man laut einer Presseerklärung zu dem übereinstimmend Ergebnis, nicht nur die Maßnahmen zu Intervention und Prävention weiterzuentwickeln, „sondern auch das institutionelle Versagen aufzuarbeiten“. Ebenso wolle man „das Thema der innerkirchlichen Machtstrukturen sowie Fragen der Sexualmoral“ erörtern. Ob und wie der Regensburger Generalvikar Michael Fuchs, der im Kontext von sexuellem Missbrauch als Vertuscher gilt und anlässlich der MHG-Studie die Fallzahlen für Beschuldigte und Opfer kleinzureden versuchte (hier zur detaillierten Analyse), sich in diesem Zusammenhang positionierte, ist nicht bekannt geworden.

Verstoß gegen Zölibat bedeutet automatische Exkommunikation, sexueller Missbrauch nicht

Grundsätzliches Umdenken kam jedenfalls nicht von den Generalvikaren, sondern von außen. In einem SZ-Gastbeitrag forderte der renommierte Kirchenrechtler a.D. Peter Landau eine automatische Exkommunikation für Geistliche, die des sexuellen Missbrauchs überführt wurden. Das katholische Kirchenrecht von 1917 habe dies bis 1983 bereits gefordert, so Landau. Sein aktueller Formulierungsvorschlag für Kirchenrecht:

„Wer einen Minderjährigen durch ein Sittlichkeitsverbrechen verletzt, unterliegt der mit der Tat bereits eintretenden Exkommunikation.“

Von den deutschen Bischöfen hat diesen Vorschlag bislang niemand aufgegriffen. Die Exkommunikation von Priestern, die gegen den Zölibat verstoßen, ist hingegen gängige Praxis. Was eine Menge über die zugrunde liegenden Prioritäten und Wertigkeiten aussagt.

Voderholzer: Kein Wort der Kritik an seinem Vorgänger

Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, forderte im Anschluss an die MHG-Studie, die Aufklärung sexuellen Missbrauchs in klerikalen Kontexten unter staatliche Kontrolle zu stellen. Eine Forderung, die im Lager der Kleriker und insbesondere bei den Bischöfen keine Zustimmung erfahren hat. Auch nicht durch den Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer, dem als Konsequenz aus der Studie offenbar nur ein zertifiziertes Präventionskonzepts einfiel. Gerade hinsichtlich des institutionelles Versagens und/oder einer ausstehenden Aufarbeitung ließ Voderholzer dagegen nichts Substantielles verlauten.

Angesichts der Tatsache, dass Voderholzer bislang weder seinen Vorgänger Gerhard L. Müller noch seine Mitarbeiter im bischöflichen Ordinariat öffentlich kritisiert hat (wie es einige Diözesanbischöfe bereits getan haben), ist bemerkenswert, dass er in seinem Hirtenwort eine gängige, aber ungeahndete Praxis seines Hauses ganz nebenbei ansprach:

„Vertuschung ist kein Kavaliersdelikt sondern ein Straftatbestand, den der Jurist als ‚Strafvereitelung‘ bezeichnet und der entsprechend belangt werden muss“.

Wahre Worte, denen entsprechende Taten folgen müssten.

Der Schutz der „Institution Domspatzen“ hat oberste Priorität


Was Voderholzer, erst seit Anfang 2013 im Bischofsamt, dagegen in sträflicher Weise unterlassen hat, ist aus seinen Erfahrungen anlässlich des laufenden Aufklärungsprozesses der sexuellen und körperverletzenden Übergriffe in den Einrichtungen der Domspatzen Vorschläge für Konsequenzen aus der MHG-Studie abzuleiten. Gerade wegen seiner seit Anfang 2016 andauernden, teils sehr kontroversen und heftigen aber auch produktiven persönlichen Zusammenarbeit mit Betroffenen ehemaligen Domspatzen hätte Voderholzer sich gegenüber seinen bischöflichen Kollegen profilieren können, ja müssen. Oder versuchen, jene Aufklärungsgegner zu überzeugen, die sich laut der bereits erwähnten Unabhängigen Kommission innerhalb des bischöflichen Kollegiums tummeln.

Überblickt man jedoch Voderholzers Äußerungen nach der MHG-Studie, scheint noch nicht ausgemacht zu sein, ob er überhaupt für eine grundsätzliche und umfassende Aufarbeitung der Missbrauchsstrukturen eintritt. Beim derzeitigen Kenntnisstand ist zu befürchten, dass sein herausragendes Engagement bei der Aufklärung der Vorfälle bei den Domspatzen die Ausnahme bleiben wird – auch wenn einige Betroffene sich dies gern anders ausmalen. In Sachen Domspatzen schützt Voderholzer nämlich nicht zuletzt (wenn nicht sogar vor allem) die um ihr Überleben kämpfende Institution „Domspatzen“ mit ihren vielen Millionen Euro teuren Alt- und Neubauten, die teils aus der Bistumskasse finanziert wurden.

Bericht: Hochrangiger Bistums-Mitarbeiter nennt Studie „Lug und Trug“

Bedenklich erscheint in diesem Zusammenhang eine Äußerung von Voderholzers Führungspersonal. Laut einem Bericht des Kölner-Stadtanzeigers, der anlässlich der MHG-Studie bekannte Abwehrreflexe aus den Bistümern statt fehlender Konsequenzen beklagt, habe ein führender Vertreter des Bistums Regensburg die Studie intern „Lug und Trug“ genannt.

Ob es sich bei dem besagten führenden Vertreter um Generalvikar Fuchs handelt, wie bei kirchenkritischen Katholiken zu hören war, oder wie dieser zu „Lug und Trug“ steht, ist unklar. Eine diesbezügliche Anfrage von regensburg-digital hat die bischöfliche Pressestelle ignoriert, auch kein Dementi abgegeben.

Generalstaatsanwaltschaft weist Vorermittlungen an

Die innerkirchlichen Auseinandersetzungen um die MHG-Studie werden wohl noch Jahre andauern, zumal der in Rom residierende Pontifex ein Wörtchen mitzureden hat. Während interessierte Kleriker, (wie der geschasste Kardinal Gerhard Ludwig Müller, oder der ehemalige Nuntius Carlo Maria Viganò, der Homosexualität im Klerus als „ansteckende Plage“ bezeichnete) weiter versuchen werden, die Missbrauchsdebatte diskursiv untrennbar an die lehramtlich verfemte Homosexualität zu binden [siehe hierzu die Analyse der Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK)], haben die bayerischen Generalstaatsanwaltschaften einen beachtlichen Schritt unternommen.

Laut einer Meldung von katholisch.de habe die Generalstaatsanwaltschaft durch MHG-Studie „Informationen erhalten, die den Anfangsverdacht möglicher Straftaten begründen könnten“. Dem müsse die Justiz nach dem Legalitätsprinzip nachgehen. Man sei dabei jedoch „auf die Unterstützung durch die kirchlichen Institutionen angewiesen“ und nehme insoweit die katholischen Bischöfe beim Wort, die öffentlich alle Anstrengungen zur Aufklärung von sexuellem Missbrauch zugesichert haben“, so ein Sprecher der Münchner Generalstaatsanwaltschaft.

Die Nürnberger Generalstaatsanwaltschaft wies indessen für den Bereich des Bistums Regensburg die hiesige Staatsanwaltschaft an, Vorermittlungen einzuleiten. Laut dem Sprecher der Regensburg Staatsanwaltschaft ist diese „gegenwärtig damit befasst, nähere Informationen zu den der MGH-Studie zugrunde liegenden Sachverhalten zu erhalten.“ Dies werde einige Zeit dauern, „sodass gegenwärtig noch nicht absehbar ist, wann über die Einleitung von Ermittlungsverfahren entschieden werden kann.“

In Regensburg gab es schon über 40 Ermittlungsverfahren

Zur Erinnerung: In Regensburg wurde schon eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Übergriffen geführt. Allein in Zusammenhang mit den Übergriffen bei den Domspatzen betrieb die Regensburg Staatsanwaltschaft nach dem Jahre 2010 über 40 Verfahren, die allesamt eingestellt oder wegen Verjährung und Tod der Täter nicht eröffnet wurden – entsprechende Unterlagen sind längst vernichtet. Dies geschah aufgrund von Meldungen des Bistums, das gemäß den Regelungen der Deutschen Bischofskonferenz von August 2010 dann Verdachtsfälle an die Staatsanwaltschaft übermittelte, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht eines sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen vorliegen.“

Nach diesen 40 Verfahren aus dem Jahr 2010 stellt sich die Frage, warum die Regensburger Staatsanwaltschaft im Jahre 2018 erneut ermittelt und dabei wiederum auf die Unterstützung der bischöflichen Verwaltung angewiesen ist. Will die Generalstaatsanwaltschaft die Angaben des Bistums überprüfen?

Regensburger Staatsanwaltschaft prüft erneut

Auf Anfrage von regensburg-digital teilte die Regensburger Staatsanwaltsschaft mit, dass man 2010 „zwangsläufig nur diejenigen Sachverhalte“ geprüft habe, „die auch zu ihrer Kenntnis gelangt sind“. Weil aber nicht bekannt sei, welche Vorfälle vom Regensburger Bistum an die MHG-Studie übermittelt wurden, werde „jetzt nach Veröffentlichung der Studie von Amts wegen seitens der Staatsanwaltschaft die Initiative ergriffen und erneut ein Vorermittlungsverfahren eingeleitet, um sicherzustellen, dass alle Sachverhalte, die der Studie zugrunde liegen und den hiesigen Zuständigkeitsbezirk betreffen, auch von der Staatsanwaltschaft überprüft werden.“

Nähere Erkenntnisse seien bislang nicht bekannt. Auch Hinweise, dass möglicherweise einzelne „Fälle“ verheimlicht worden seien, lägen der Staatsanwaltschaft „gegenwärtig nicht vor“.




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