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"Es Ist Ein Problem Der Institution"

Domradio.de
November 16, 2018

https://www.domradio.de/themen/ethik-und-moral/2018-11-17/expertin-missbrauchspraevention-muss-im-priesterseminar-beginnen

Der Missbrauchsskandal wird die katholische Kirche in Deutschland wohl noch lange beschaftigen. Bei einer Fachtagung in Dresden gab jetzt eine Psychologin von der Papstlichen Universitat in Rom bemerkenswerte Einblick.

Als im September die Ergebnisse der von den katholischen Bischofen in Auftrag gegebenen Studie zu sexuellem Missbrauch von Minderjahrigen durch Geistliche offentlich wurden, war das Entsetzen gro?. Zwischen 1946 und 2014 wurden demnach in Deutschland 3.677 Kinder und Jugendliche Opfer sexueller Ubergriffe von mindestens 1.670 Beschuldigten; das sind 4,4 Prozent der Geistlichen. "Die Ergebnisse geben einen guten ersten Eindruck. Wobei die Dunkelziffer sicher hoher ist. Insgesamt liegt Deutschland damit im internationalen Vergleich aber in der Norm", urteilt die Psychologin Katharina Fuchs. Als Verantwortliche fur Forschung und Entwicklung am "Centre for Child Protection" der Papstlichen Universitat Gregoriana in Rom ist sie Expertin fur sexuellen Missbrauch durch Kleriker.

Bei einer Fachtagung der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Mei?en zu Pravention von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche stellte Fuchs deutlich fest: "Es ist ein Problem der Institution und des Systems." Sie verweist dabei auf ahnliche Studien aus Kanada, den USA, Irland, Australien, Kanada, Luxemburg, Niederlande, Osterreich und der Schweiz, die bereits seit 1992 erhoben wurden. Zugleich warnt Fuchs davor, alle Missbrauchstater uber einen Kamm zu scheren: "Keiner ist wie der andere."

Priester-Tater

Dabei raumt sie direkt mit einem weit verbreiteten Vorurteil und Missverstandnis auf: "Nur etwa zehn Prozent der missbrauchenden Kleriker sind im klinisch-medizinischen Sinne padophil, fuhlen sich sexuell von Kindern vor der Pubertat angezogen." Der uberwiegende Teil die Opfer sei am Beginn oder in der Pubertat. Teils lagen bei den Straftatern anti-soziale oder narzisstische Storungen vor. Oder sie waren selbst Opfer: "Eine Studie aus den USA ergab, dass ein bis zwei Drittel der ubergriffigen Priester selbst als Kind missbraucht wurden." Opfer werden spater zu Tatern - ein Phanomen, das aus dem Bereich des sexuellen Missbrauchs im familiaren Umfeld allzu bekannt ist.

Langst nicht alle Tater seien sich dessen bewusst, was fur ein unsagbares Leid sie mit dem Missbrauch bei den Betroffenen auslosten, schildert Fuchs. Mitunter spielten bei Priestern auch Glaubens- und Gottesvorstellungen mit in diese kognitiven Verzerrungen hinein: "Manche sagen: 'Gott hat mir dieses Kind geschickt' oder 'Gott wurde doch nicht zulassen, dass ich etwas Boses mache.'" Wenngleich sich, wie Fuchs aufzeigt, Priester-Tater in vielerlei Hinsicht kaum von nichtgeistlichen Tater unterscheiden, so kommt naturlich doch prompt die Frage auf: Welche Rolle spielt der Zolibat – befordert er sexuellen Missbrauch?

"Falle von sexueller und menschlicher Unreife"

"Der Zolibat an sich ist nicht das Problem – sondern eher wie sich Priester damit auseinandersetzen, ihn zu leben und mit ihren sexuellen Empfindungen umgehen", betont Fuchs. "Missbrauchspravention beginnt schon im Priesterseminar!" Wer hort, woran es laut Fuchs in der Ausbildung in den Seminaren mangelt, dem konnte angst und bange werden: "Es gibt viele Falle von sexueller und menschlicher Unreife." Viele Seminaristen hatten ihr Lebtag nicht uber ihre pubertaren, korperlichen und sexuellen Entwicklungen gesprochen, manche seien sich nicht einmal ihrer sexuellen Orientierung bewusst.

Zwar steuert die Priesterausbildung hier langsam nach – doch was ist mit alteren Priestern, die noch mit der volligen Tabuisierung aufgewachsen sind? "Es gibt tatsachlich Geistliche, die glauben, Sexualitat mit einem Kind oder einem Mann sei kein Versto? gegen den Zolibat, weil der ja nur durch sexuellen Verkehr mit einer erwachsenen Frau verletzt werde", berichtet Fuchs. Ihr Appell an die

Bistumsleitungen: Es braucht Raume fur regelma?ige Gesprache uber das Thema Sexualitat sowie Fortbildungen in diesem Bereich. "Und es muss gute psychologische und therapeutische Hilfen fur auffallige Geistliche und Tater geben. Mit einem Strafprozess ist das Thema ja nicht erledigt", so Fuchs. Bemerkenswert: Unter den Tagungsteilnehmern, viele davon in kirchlichen Institutionen tatig, war nur ein Geistlicher, und auch der Missbrauchsbeauftragte des Bistums Dresden-Mei?en fehlte.

Karin Wollschlager

 

 

 

 

 




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