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Bergoglios Schweigen

Deutschlandfunk
March 31, 2016

http://www.deutschlandfunk.de/argentinien-bergoglios-schweigen.886.de.html?dram:article_id=349755

[Pope Francis and Clergy Sexual Abuse in Argentina - BishopAccountability.org]

Papst Franziskus soll als Erzbischof von Buenos Aires Falle von Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche verschwiegen haben.

"Als ich dreizehn war, wurde ich von einem katholischen Geistlichen missbraucht – in der Schule des Marianisten-Ordens in Buenos Aires, die ich damals besuchte. Zehn Jahre lang konnte ich das nicht in Worte fassen, konnte es keinem erzahlen."

Dem Argentinier Sebastian Cuattromo gelang es schlie?lich doch, uber seine traumatische Erfahrung zu sprechen. Aber nicht nur das: Cuattromo, heute 39, zeigte seinen ehemaligen Lehrer, den Ordensbruder Fernando Picciochi, im Jahr 2000 an, gemeinsam mit einem Mitschuler, an dem sich Picciochi ebenfalls sexuell vergangen hatte. Bevor es jedoch zum Prozess kam, floh der katholische Geistliche in die USA, wo sein Opfer ihn selbst aufspurte: Dank Cuattromos Hinweis wurde der Ordensbruder festgenommen und nach Argentinien ausgeliefert. 2012 verurteilte die Justiz Fernando Picchiochi wegen wiederholter sexueller Notigung Minderjahriger zu zwolf Jahren Gefangnis.

"Das Wichtigste an meiner Geschichte ist, dass der sexuelle Missbrauch, den ich erlitten habe, mehr als zwanzig Jahre spater von der Justiz anerkannt wurde. Das hat einen hohen Symbolwert. Denn ein gro?er Teil der Falle von Kindesmissbrauch bleibt ungesuhnt." Sebastian Cuattromo brachte seinen Peiniger dank seiner eigenen Hartnackigkeit vor Gericht. Von der katholischen Kirche erhielt er keine Unterstutzung. In Argentinien haben sich in den vergangenen Jahrzehnten etwa 50 katholische Geistliche an Kindern vergangen. Diese Zahl hat die US-amerikanische Internetplattform Bishop Accountability veroffentlicht, die Dunkelziffer liegt vermutlich hoher. Ein Teil wurde verurteilt, ein Teil entging der Bestrafung.

Die Institution Kirche reagierte in Argentinien so, wie sie es fast uberall auf der Welt lange Zeit tat: mit Vertuschung, mit Desinteresse fur die Opfer. Als die Schule des Marianisten-Ordens den Missbrauch zugab und Sebastian Cuattromo Entschadigung anbot, verlangte sie von ihm zugleich, uber das Vorgefallene zu schweigen. Cuattromo wandte sich daraufhin an den heutigen Papst und damaligen Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Bergoglio.

Er erzahlt: "Ich ging zum Sitz der Kurie und bat um ein Gesprach mit Bergoglio. Nicht er selbst empfing mich, sondern ein Sekretar. Ich wollte wissen, ob die Kirchenleitung es guthie?, dass die katholische Schule von mir Schweigen uber das Vergehen eines ihrer Lehrer verlangte", sagt Cuattromo. Zu einem Gesprach war schlie?lich Bischof Mario Poli bereit, den der Papst inzwischen zu seinem Nachfolger an der Spitze des Erzbistums Buenos Aires ernannt hat. Poli stellte sich hinter das Vorgehen der Marianisten-Schule – fur Sebastian Cuattromo eine herbe Enttauschung: "Als Missbrauchsopfer kampfte ich damals fur Gerechtigkeit und Entschadigung. Bei meinen Treffen mit der Kirchenhierarchie hatte ich das Gefuhl, dass sie das Ausma? des Verbrechens und des Leidens der Opfer vollig unterschatzte."

Bishop Accountability wirft Franziskus, der von 2005 bis 2011 Argentiniens Bischofskonferenz leitete, sein Schweigen in jener Zeit vor. Er habe das Problem des Kindesmissbrauchs nicht offentlich gemacht, sich bei den Opfern nicht entschuldigt und keine Richtlinien zum Umgang mit Padophilen innerhalb der katholischen Kirche veroffentlicht. Der Menschenrechtsanwalt Ernesto Moreau, der in der Vergangenheit in Argentinien Missbrauchsopfer vertreten hat, stellt Mutma?ungen uber Jorge Bergoglios Verhalten an:

"Bergoglio hat, wie wir heute wissen, mit einem Teil seiner Personlichkeit hinter dem Berg gehalten. Vielleicht hat er den sexuellen Missbrauch nicht thematisiert, um seine Chancen, Papst zu werden, nicht zu schmalern. Wenn er das Problem offentlich angeprangert hatte, ware er wohl nicht Papst geworden – hat doch der Vatikan diese Delikte immer vertuscht."

Laut Sergio Rubin, einem von Bergoglios Biografen, verscharfte dieser in seiner Zeit als Erzbischof seine Haltung gegenuber dem Problem des sexuellen Missbrauchs. Bergoglio habe gewollt, dass die Justiz gegen padophile Priester vorgeht. Doch Leitlinien zur Handhabung von Missbrauchsfallen verfasste Argentiniens katholische Kirche erst, als Jorge Bergoglio bereits Papst war. Im vergangenen August stellte Carlos Malfa, Generalsekretar der Bischofskonferenz, sie vor: "Wir sind uns schmerzlich bewusst, dass der sexuelle Kindesmissbrauch Sunde und Verbrechen ist. Wir verurteilen ihn. Padophile durfen nicht mehr Priester sein. Und die Opfer mussen von der Kirche umfassend betreut werden."

Solch deutliche Worte hatte Argentiniens konservative Bischofskonferenz noch nie offentlich ausgesprochen. Dass der Papst der katholischen Kirche heute eine klare Position gegen Kindesmissbrauch vorgibt, sto?t bei Opfern wie Sebastian Cuattromo auf Zustimmung. Gesten wie Franziskus‘ Bitte um Verzeihung im April 2014 erfullen ihn mit Hoffnung.

"Diese Gesten sind eine Konsequenz des jahrzehntelangen Kampfes der Opfer. Wir selbst haben erreicht, dass den Kirchenhierarchien heute keine andere Wahl bleibt, als offen uber das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs und dessen Vertuschung zu reden."

Sebastian Cuattromo hat in dieser Woche noch einmal Genugtuung erfahren: Der Oberste Gerichtshof Argentiniens bestatigte die Verurteilung seines fruheren Lehrers Fernando Picciochi. Der ehemalige Ordensbruder ist dennoch bereits auf freiem Fu? – die Justiz hat seine Strafe unter Anrechnung der Untersuchungshaft verkurzt.

 

 

 

 

 




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