Sexueller Missbrauch: Das organisierte Tabu der DDR

HAMBURG (GERMANY)
Zeit Online

October 11, 2017

By Doreen Reinhard

[Summary: Renate Viehrig-Seger participated in an open hearing on 10/11/17 in Leipzig devoted to the taboo subject of sexual abuse experienced by children housed in institutions in the former East Germany. The hearing was part of the Independent Commission on the Elimination of Sexual Child Abuse.]

Sexuellen Missbrauch durfte es offiziell nicht geben in der DDR. Dabei gab es Tausende schwere Fälle – in Familien, in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen des Systems.

“Bis zu meinem elften Geburtstag war meine Kindheit ganz okay”, sagt Renate Viehrig-Seger. “Mal abgesehen von der Prügel, die ich immer wieder von meinem Vater bekam.” Gewalt und Missbrauch zogen sich durch ihre Kindheit und Jugend, so heftig, dass sie ganz eigene Kategorien für das Ausmaß entwickelt hat.

Renate Viehrig-Seger war ein Kind der DDR und in der gab es so gut wie keine Chance, dass Tragödien wie ihre an die Öffentlichkeit gelangten. Dass ihr irgendwer zu Hilfe kam. Geboren ist sie 1959, aufgewachsen mit zehn Geschwistern, einem aggressiven Vater und einer Mutter, die vor allem weggeschaut hat. Als sie pubertierte, waren ihrem Vater Schläge nicht mehr genug. “Er holte mich nachts ins Wohnzimmer, um mich anzufassen. Im Raum daneben lag meine Mutter. Als sie ins Wohnzimmer kam, schnauzte mein Vater sie an, dass sie abhauen soll.”

Renate Viehrig-Seger suchte Hilfe bei Ämtern, aber niemand glaubte ihr. Sie begann, zu verzweifeln. “Ich wurde rabiat, habe geklaut und über die Stränge geschlagen.” Immer wieder versuchte sie, von zu Hause abzuhauen, aber jedes Mal wurde sie von der Polizei wieder zu den Eltern zurückgebracht. Irgendwann sagte ihre Mutter: “Es reicht, du gehst ins Heim.”

Zunächst war dieser Weg für das Mädchen eine Erleichterung. “In dem Kinderheim, in das ich zuerst kam, gab es Ordnung, Sauberkeit, Struktur, so etwas kannte ich von zu Hause nicht.” Bald darauf wurde sie jedoch in den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau verlegt, der zu den schlimmsten Institutionen des Staates gehörte, gedacht zur “Umerziehung” nach sozialistischen Maßstäben.

Insgesamt 474 staatliche Kinderheime gab es in der DDR. Davon waren 38 sogenannte Spezialkinderheime und 32 Jugendwerkhöfe, in denen jene Heranwachsenden verwahrt wurden, die als schwer erziehbar und verhaltensauffällig galten. Viele Kinder und Jugendliche haben dort die Hölle erlebt. Im Jugendwerkhof Torgau wurde auch für Renate Viehrig-Seger alles nur noch schlimmer. “Ich habe dort nächtlichen Besuch vom Direktor bekommen, der mich vergewaltigt hat.” Als sie einem Erzieher davon erzählte, bekam sie auch dort keine Hilfe, stattdessen zwei Tage Arrest, weil sie Lügen erzählt habe.

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